10
Mrz
2018

Tag 106 Mount Guy Saddle bis Crooked Spur Hut (30 Kilometer)

Ich habe den Rangitata River gefurtet, einen der größten Braided River Neuseelands. Was für ein Tag! Der dritte harte und vor allem lange Tag in Folge. Ich war abermals über 11 Stunden unterwegs und gab damit weiterhin Gas auf dem Te Araroa. Die Viertagessektion zwischen Rakaia und Rangitata River habe ich damit nun in an sich zwei statt vier Tagen geschafft, aber es war fantastisch, auch heute. Meine Knie verraten mir allerdings, dass ich es irgendwann in den nächsten Tagen, vielleicht schon morgen, langsamer angehen muss. Zumal die nächsten Etappen mit der Querung der hohen Two Thumb Range über den Stags Saddle, den höchsten Punkt des gesamten Trails, sicher hart werden. Daneben habe ich heute den Drehort von Edoras aus den Herr-der-Ringe-Filmen passiert. Ich war also mittendrin in Rohan…

An sich wollte ich heute morgen richtig früh raus um Anna einzuholen, die gestern noch bis zum Carpark am Rangitata River gelaufen war. Aber aus meinem geplanten Start um 6 Uhr wurde nichts. Ich bin nur schwer aus Schlafsack und Zelt gekommen und befand mich dann ganz ungeplant erst um 7:30 Uhr auf dem Trail.

Es war vollkommen windstill heute morgen. Als ich meinen Zeltplatz auf dem Sattel des Mount Guy verließ, blickte ich auf den Lake Clearwater unter mir hinab und auf das sich westlich, in etwas über zehn Kilometern Entfernung befindende Tal des Rangitata River. Die tief hängende Wolkendecke schien nur dünn zu sein und ich hoffte darauf, dass sich die Sonne durchsetzen würde bis ich am Fluss ankommen würde. Falls ja, würde ich die Querung des Rangitata wahrscheinlich versuchen.

Ich wusste nicht, ob Anna beim Rangitata River, der sich durch eine Hochebene von ganzen neun Kilometern Breite zog, auf mich wartete. Ich beschloss jedoch etwas Gas zu geben. Vielleicht könnten wir die Querung dann gemeinsam angehen.

Da die gräserne Landschaft bis dahin unerwartet hügelig war, brauchte ich etwas länger als gedacht. Ich kam so gegen 10 Uhr an der Straße und dem Parkplatz im Niemandsland der Hochebene und damit am Flussbett des Rangitata River an. Die Sektion zwischen den beiden großen Braided Rivers Neuseelands hatte ich damit sehr schnell in nahezu zwei Tagen statt vier, wie es die Trailbeschreibung vorsah, abgeschlossen. Dennoch, von Anna war nichts zu sehen. Sie war genauso schnell unterwegs gewesen wie ich und vermutlich ein paar Stunden voraus. Ich wusste nicht, ob sie die Querung in Angriff genommen hatte oder den Fluss umging bzw. umtrampte. Erst später – ich holte sie am heutigen Abend ein – erfuhr ich, dass sie und einige andere Hiker den Fluss umtrampt hatten.

Die Sonne hatte zwischenzeitlich über die Wolkendecke triumphiert und machte sich nun daran auch die letzten an den Berghängen stehenden Wolken aufzulösen. Es war ein strahlend blauer Himmel und ich gönnte mir am Parkplatz auf grünem Grund im Schatten mehrerer hoher Bäume zunächst eine lange Pause und ein zweites Frühstück. Ich hatte heute morgen nur knapp ein Snickers und ein paar gehaltvolle Frühstückskekse gegessen, da ich dachte Anna eventuell noch einholen zu können. Nun war es Zeit für ein paar Wraps mit Salami und Käse und einige Schokoriegel und Gummibären zum Nachtisch. Derweil überlegte ich bereits wie ich das Crossing des Rangitata – ich hatte mich dazu entschlossen, die Querung zu versuchen – angehen würde. Das Wetter war gut, die letzten Wassercharts ebenso, ich hatte mich ausführlich vorbereitet und es hatte heute nicht geregnet.

Einen groben Plan für eine mögliche Querung hatte ich mir schon im Vorfeld zurecht gelegt. Ich wollte keineswegs den direkten Weg zum Trailhead auf der anderen Seite der Hochebene nehmen, sondern weiter nördlich von hier einen weiten Bogen schlagen. So konnte ich den Potts River als größeren Zufluss des Rangitata umgehen und würde den Braided River dort queren können, wo er sich noch deutlich weiter in mehrere Flussarme aufgefächert hatte als auf dem direkten Weg. Etwa neun Kilometer Luftlinie trennten mich von den Bergen auf der anderen Seite des Flusstales und unzählige Flussarme. Meine Strecke sah nun etwas über elf Kilometer vor. Ich studierte nochmal die Karten und Informationen zum Fluss und suchte mir einen langen Stock als Querungshilfe, den ich nahe des Parkplatzes fand.

Dann machte ich mich auf den Weg, nicht ohne noch die auf dem Weg liegende, jedoch nicht für mich bestimmte Trailmagic zu fotografieren: zwei Flaschen Bier für zwei bestimmte Te Araroa-Hiker. Ganz gefährlich: mit gut gemeinter, aber völlig falscher Wasserdurchflussangabe des Rangitata. Es hatte aktuell 70 Kubikmeter pro Sekunde Wasserdurchfluss. Der niedrige auf dem Zettel angegebene Wert von 18 Kubikmetern stimmte hinten und vorne nicht. Solch einen niedrigen Wert hatte der Rangitata in den vergangenen 30 Tagen nicht. Er schwankte hier zwischen etwa 60 Kubikmetern pro Sekunde als niedrigstem Wert und 400 Kubikmetern pro Sekunde in der Spitze nach den heftigen Regenfällen durch Zyklon Gita.

Etwa einen Kilometer nördlich vom direkten Weg zum Trailstart des Two-Thumb-Track auf der anderen Seite begann ich meine Querung. Ich folgte zunächst einem 4WD-Track, der an der Seite eines als Weide genutzten Feldes tiefer in die Hochebene führte. Aus der Ferne sah ich ihn hier: den Mount Sunday, den Berg, der als Kulisse für Edoras und König Theodens Hallen in den Herr-der-Ringe-Filmen diente. Er lag umgeben von den hohen Gipfeln, die teils schneeweiße Hängegletscher in ihren Höhen trugen, mitten im Tal des Rangitata River. Ich war also abermals mittendrin in Mittelerde, in Rohan.

Nach gut zwei Kilometern auf dem 4WD-Track verließ ich diesen und schlug meinen langen Bogen durch die Hochebene und das Flusstal. Schnell gelangte ich zum ersten Arm des Rangitata, der vielleicht an die 20 Meter breit war und dessen Wasser schnell, nicht ohne einige Wellen zu schlagen, abwärts strömte. Bis zur Mitte meines Oberschenkels stand es mir hier. Ich gelangte gut durch.

Arm um Arm querte ich hiernach den Fluss. Irgendwann nach dem 25ten Flussarm, ich befand mich ungefähr in der Mitte der Ebene, hörte ich auf zu zählen. Es waren einfach unzählige Ströme, die immer wieder miteinander verwoben waren. In einigen der tieferen Läufe gereichte mir das Wasser wie im ersten Arm, den ich gequert hatte, bis zur Mitte meines Oberschenkels. In anderen Armen wiederum ging mir das Wasser nur bis zum Knie, manchmal auch nur bis zum Knöchel.

Auch strömte es völlig unterschiedlich. Mal rasant schnell, dass sich Wildwasser und regelrechte Strömungen bildeten gegen die ich ankämpfte und die mich veranlassten oftmals weiter stromaufwärts oder stromabwärts nach einer besseren Querung zu suchen, mal war die Fließgeschwindigkeit deutlich langsamer. Zwischen all den Furtungen des Rangitata River querte ich weitläufige Geröllfelder und grasbewachsene leichte Anhöhen, in denen ich mich zuweilen durch Dornengebüsch durchkämpfte.

Mein gesamter Weg sah übrigens in etwa so aus. Hier erkennt man auch in welch eine Vielzahl an Armen der Rangitata tatsächlich aufgefächert ist.

Nach nicht ganz vier Stunden hatte ich alle Arme des Rangitata River gequert und war über die letzten größeren Geröllfelder und zuletzt am Bush Stream, einem größeren Zufluss des Rangitata, entlang zum Beginn des Two-Thumb-Track aufgestiegen. Die Querung hatte damit geklappt und in den Konditionen, die ich hatte, war dies noch nicht mal die subjektiv für mich schwerste, wenn auch eindeutig längste Flussfurtung des Trails bislang gewesen. Dennoch empfehle ich das allgemein keineswegs zum Nachmachen. Ich hatte nahezu perfekte Konditionen, hatte mich vernünftig vorbereitet und bin auch nicht ohne Erfahrung in die Querung gegangen. Der Rangitata River ist jedoch nicht ohne Grund wegen der mit der Furtung verbundenen Gefahren vom Te Araroa Trust als Hazard Zone deklariert worden und ganz regelmäßig nicht querbar.

Nun war ich also am Beginn des Two-Thumb-Tracks, der mich in weiteren drei bis vier Tagen über das Gebirgsmassiv der Two Thumb Range und den höchsten Punkt des Te Araroa, den 1.925 Meter hohen Stag Saddle, bis nach Lake Tekapo führen würde.

Zunächst ging es am reißenden Bush Stream entlang in ein enges Flusstal, an dessen Seiten sich die Felswände der Bergriesen um mich herum teils steil und klippenartig auftürmten. Auf dem anfangs nur sporadisch markierten Track hatte ich einige Querungen des Bush Stream zu vollziehen, die zumindest heute nach meinem Empfinden deutlich anspruchsvoller waren als die Crossings der stärksten Arme des Rangitata. Ich kämpfte einige Male gegen die Strömung des hier im engen Tal wild dahinrauschenden Flusses an während sich das Wasser vor mir beinahe bis zur Hüfte aufstaute.

Ich wollte heute unbedingt noch bis zur Crooked Spur Hut gelangen, die neun Kilometer vom Trailhead entfernt lag. Ich vermutete Anna dort oben und wollte immer noch aufschließen. Doch bereits auf der Hälfte des Weges merkte ich, dass die Anstrengungen der vergangenen und des heutigen Tages an mir zehrten. Ich war kaputt und müde und machte immer wieder kürzere Pausen in dem schwierigen Terrain.

Nach etwa sieben Kilometern im und neben dem Bush Stream verließ ich den Fluss zunächst und stieg eine steile etwa 100 Meter über dem Fluss liegende Klippe hinauf und auf der anderen Seite ebenso steil wieder zum Fluss hinab.

Dort querte ich den Bush Stream für heute zum letzten Mal ehe ich durch einen zunächst von Fliegenpilzen überwucherten Wald, später in offenem, alpineren Terrain in steilen Serpentinen etwa 300 Meter zur Crooked Spur Hut aufstieg. Die Aussicht zurück in das enge Tal, durch das ich aufgestiegen war, bis hin zum weit entfernten Rangitata River war überwältigend.

Gegen 19 Uhr erreichte ich die alte, rostige Hütte, deren Wellblechverkleidung bereits einige Löcher aufwies und deren dunkles Inneres – mir gefiel es – im allgemeinen wahrscheinlich als wenig einladend erachtet wird. Dafür war die Aussicht von hier hinunter ins Tal der Wahnsinn.

In der Hütte hatte ich nun auch tatsächlich Anna eingeholt. Daneben traf ich noch auf drei amerikanische, ebenfalls südwärts gehende Hiker, und einen neuseeländischen Jäger namens Sean, der uns direkt etwas gebratenes Tahr-Lamm kosten ließ. Oh man, war das gut…

Meine Knie schmerzten am weiteren Abend gehörig, dennoch war der Tag fantastisch. Und ebenso fantastisch war es auch wieder aus den nassen Sachen herausgekommen zu sein. Mal sehen wie die nächsten Tage mit dem Stags Saddle und der Querung der Two Thumb Range werden. Ich bin gespannt. Es macht gerade großen Spaß auf dem Trail 🙂

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