28
Apr
2023

Auf Backcountry-Ski durch den Sarek Nationalpark! Bericht meiner Winterexpedition oberhalb des Polarkreises – Teil 1

Der Sarek Nationalpark! Die sogenannte letzte große Wildnis Europas! Und der Schauplatz eines weiteren großen Abenteuers: einer Winterquerung auf Backcountry-Ski! Selbst organisiert und ohne Unterstützung durch professionelle Guides. Ich hatte noch direkt bei der Abreise einen immensen Respekt vor dieser Tour und dem, was mein Team und mich hier oberhalb des Polarkreises im tiefsten skandinavischen Winter erwarten würde. Die umfangreiche Organisation und Planung sprach Bände davon, auf was wir uns einzustellen hatten. 9 Tage sollten wir schlussendlich in der gewaltigen Bergwelt des Sarek, einer endlosen Landschaft aus meist nichts weiter als Fels, Schnee und Eis auf Skiern unterwegs sein. Wir erlebten Nächte von bis zu minus 30 Grad, gleich mehrere unglaubliche Nordlichtspektakel, eine unverhoffte Unterkunft am höchsten Punkt, geheimnisvolle Spuren im Schnee, einen beinahe erfolgten Abbruch der Tour, unzählige Probleme, die andernorts gar keine sollten wie auch das vermutlich beste Wetterfenster für eine Winterquerung des Sarek seit Jahren! Und insbesondere für Letzteres bin ich unglaublich dankbar! Hier lest ihr nun den ersten Teil meines Berichts über die Winterquerung des Sarek Nationalpark in Schwedisch-Lappland…

Inhaltsverzeichnis

    Ritsem – Kvikkjokk – Saltoluokta: by fair means

    Ritsem – Kvikkjokk – Saltoluokta! Und das ganze „by fair means“. Beim Bergsteigen bedeutet das so viel wie den Verzicht auf möglichst alle technischen Hilfsmittel. Der Berg soll „aus eigener Kraft“ von seinem Fuße aus ohne Aufstiegshilfen wie Seilbahnen, aber auch ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen werden.

    Mein Team, bestehend aus Alexej, Chris und mir, verstand „by fair means“ für unsere Skiexpedition in dem Sinne, dass wir von unserem Ausgangspunkt an der Fjällstation Ritsem im hohen Norden von Schwedisch-Lappland aus eigener Kraft und ohne professionelle Unterstützung durch erfahrene Guides auf unseren Backcountry-Ski sowohl in den Sarek Nationalpark gelangen als auch diesen in südwestlicher Richtung bis kurz vor Kvikkjokk komplett durchqueren und dann gen Norden wieder zurück auf dem Kungsleden bis zur Fjällstation Saltuolokta laufen würden. Das Ganze mit unserer gesamten auf den Materialschlitten verladenen Expeditionsausrüstung von 35 bis 40 Kilogramm je Person und Schlitten einschließlich der erforderlichen Verpflegung und Brennstoff.

    Mit dieser Planung grenzten wir uns zumindest ein Stück von den durch die Expeditionsreisenveranstalter geführten Touren ab, die neben der erfahrenen Führung durch professionelle Guides meist zwar ebenfalls in Ritsem starten, jedoch von dort zunächst mit dem Motorschlitten knappe 25 Kilometer weiter südlich bis zur Grenze des Nationalparks gebracht werden. Beim Heraustreten aus dem Nationalpark werden sie zudem unmittelbar an dessen Grenze wieder abgeholt.

    Unser Plan war es dahingegen neben den anfangs zusätzlichen 25 Kilometern auch zum Schluss noch weitere 50 Kilometer zu laufen. Daneben grenzte unser spärlicher Erfahrungswert uns natürlich zu den geführten Expeditionen ab. Das planten wir jedoch mit Motivation und nicht zuletzt mit einer umso umfassenderen und sorgfältigen Vorbereitung wieder wettzumachen. Wie letztere bzw. die gesamte Planung der Tour gelaufen ist, könnte ihr in meinem Artikel „Die Planung läuft! auch Backcountry-Ski durch die letzte große Wildnis Europas: den Sarek Nationalpark in Schwedisch-Lappland“ nachlesen.

    Während wir ab unserem Ausgangsort „by fair means“ unterwegs sein wollten, galt dies zugegeben noch nicht für die eigentliche Anreise in den hohen Norden Schwedens. Bei mir erfolgte sie mittels Flug nach Stockholm, dann mit dem Nachtzug weiter nach Gällivare, wo sich mein Team vervollständigte, und von dort mit einer weiteren mehrstündigen Busfahrt zu unserem Ausgangspunkt: der Fjällstation Ritsem.

    Vom vermeintlich Unvernünftigen…

    „Jetzt geht es also los!“ So meine Gedanken in der letzten Woche vor der Tour. Eine Winterquerung des Sarek. Ein Stück weit schon ein wahnsinniges Unterfangen mit so wenig Erfahrung. Ich fragte mich ehrlich, ob wir uns überschätzt hatten? Ob wir genügend vorbereitet waren? Ob es vielleicht nicht sogar unvernünftig war, mit unseren geringen Erfahrungswerten in den Sarek zu gehen?

    Es hatte sich angefühlt als wäre dies eine der größten Herausforderungen, der ich mich bislang gestellt hatte. Ohne Guide, selbst organisiert, keine Hütten, keine Notausstiege, erhebliche Gefahren durch Winterstürme, Lawinen usw. Nur Chris, Alexej und ich. Chris und ich dabei mit dem Erfahrungslevel von sage und schreibe einer vorherigen Tour über die Hardangervidda, Alexej ganz ohne Erfahrungen mit Winterexpeditionen auf Backcountry-Ski…

    Am Wochenende vor der Abreise nach Lappland hatte ich meinen großen Expeditionsrucksack herausgeholt. Nach und nach hatte ich das für die Reise benötigte Equipment im Wohnzimmer meines Zuhauses in Ohlstadt zurechtgelegt. Ein Teil der Ausrüstung kam auf den Esstisch, ein weiterer Teil aufs Sofa und ein unsortierter Pulk an Ausrüstung auf den Boden. Das war der Moment, an dem ich von Tag zu Tag mehr realisierte, auf welches große Abenteuer wir uns da wohl eingelassen hatten.

    Vor dieser Packsession waren wir alle nur im Vorbereitungsmodus gewesen. Wir hatten die Tour mehrere Monate intensiv geplant: die konkrete Route, etwaige Ausweichrouten darin, jedes einzelne Ausrüstungsstück, die Hin- und Rückreise, die Verpflegung, die möglichen Notfallsituationen usw. Aber in der Vorbereitung schien die Reise selbst noch unendlich fern. Und nun ging es gefühlt beinahe plötzlich in die Umsetzung. Dass uns die letzten Details der Planung in den Tagen vor der Abreise noch sehr gefordert hatten, hatte diesen Eindruck vermutlich noch verstärkt.

    Mein Respekt vor dieser Tour war jedenfalls immens und ich meinte oder bildete ich mir zumindest eion, dass er größer war als ich ihn vor meinen anderen Touren verspürt hatte. Vielleicht war es auch dem schlichten Umstand geschuldet, dass alle anderen Reisen in der Vergangenheit lagen und nur die Reise durch den Sarek eben noch bevorstand. Vieles, was unterwegs passieren konnte, schien mir irgendwie noch fern und unwägbar.

    Neben allem Respekt war da natürlich auch Vorfreude! Die Vorfreude auf ein neues Abenteuer und eine neue Herausforderung. Und nicht zuletzt Motivation! Der Willen, es aus eigener Kraft schaffen und dafür alles geben zu wollen. Alexej, Chris und ich waren uns wohl bewusst, dass es hart werden würde. Wir wussten, wir würden frieren, erschöpft sein und womöglich auch die ein und anderen Schmerzen ertragen. Doch wir wussten auch, dass vor uns dieses kaum zu beschreibende Gefühl einer puren und nahezu grenzenlosen Freiheit lag. Eines der intensivsten und ungetrübtesten Gefühle, die es gibt, und eben eines der Gefühle, aus dem Menschen sich eben entscheiden, solche Dinge zu tun. Trotz der Widrigkeiten, denen sie sich vielleicht zu stellen haben.

    Ob es nun eine anspruchsvolle Bergbesteigung im Himalaya ist, eine herausfordernde Klettertour im Yosemite, eine Pazifikquerung im Kajak, eine Wanderung zum Südpol oder eben – wenngleich mit vorgenannten vielleicht nicht vergleichbar – eine Winterexpedition in den Sarek mit geringer Erfahrung. Es wird stets solche Stimmen geben, die behaupten, dass es unvernünftig wäre, solche Reisen zu unternehmen und die damit verbundenen Wagnisse und Risiken in Kauf zu nehmen. Und zu einem gewissen Teil haben diese Stimmen auch recht.

    Doch zu einem genauso großen Teil ist womöglich auch das Gegenteil der Fall. Denn wenn man sich mit der Frage beschäftigt, ob es unvernünftig ist, etwas zu tun, dann muss man sich auch damit beschäftigen, ob es es vernünftig ist, etwas zu tun? Vor allem sollte das dann gelten, wenn einen Dinge nicht los- sondern eben träumen lassen? Wäre es da nicht zu einem gewissen Teil sogar unvernünftig, würde man seine Träume nicht leben, sondern sie nur weiter träumen?

    Auch wenn dies Entbehrungen und vielleicht Risiken bedeutet, vor solch einem Hintergrund ist etwas „vermeintlich Unvernünftiges“ manchmal vielleicht sogar als etwas „ganz Vernünftiges“ zu betrachten…

    Von letzten Besorgungen und einer dreitägigen Anreise

    Als ich meine beiden Rucksäcke am Tag der Abreise in Ohlstadt schulterte – ein 80 Liter-Expeditions- sowie ein 30 Liter-Tourenrucksack – war es mir bewusster denn je: diese Reise steht und fällt nicht nur mit unserer Vorbereitung. Sie steht und fällt mit dem Wetter und ich hoffte darauf, dass wir ein gutes Wetterfenster erwischen und allenfalls einen Wintersturm erleben würden.

    Von München flog ich mit der Lufthansa nach Stockholm. Eigentlich sollte ich hier auf Alexej und Chris treffen, doch die Streiks des Bodenpersonals am Flughafen Köln/Bonn machten dem einen Strich durch die Rechnung. Alexej hatte seinen Flug verpasst und war eifrig bemüht eine ziemlich merkwürdige Alternativverbindung von Frankfurt via Genf nach Stockholm aufzutun. Zwar bekam er die, sollte jedoch den weiterführenden Nachtzug verpassen. Mit diesem brachen Chris und ich bereits am Abend zu dem rund 900 Kilometer Luftlinie weiter nördlich befindlichen Gällivare auf. Eine Fahrt von 14 Stunden, mitten nach Schwedisch-Lappland und letztlich sogar ein Stück über den sog. Arctic Circle, den Polarkreis, hinaus!

    Ein Schlafabteil hatten wir nicht mehr bekommen, doch war unser Sitzwagen für den ersten Teil der Strecke nicht vollends ausgebucht, so dass Chris und ich zumindest einen Teil der Nacht jeder eine eigene Sitzreihe zur Verfügung hatten. Die Sitze waren zwar nicht verstellbar, aber durch ihre Breite halbwegs komfortabel. Natürlich war der knappe Schlaf insgesamt trotzdem wenig erholsam, aber es ließ sich mit der eigenen Reihe schon aushalten – auch wenn es kein Vergleich zu dem Komfort war, den uns der Schlafwagen auf der Rückfahrt zwei Wochen später bieten sollte.

    Davon ab konkurrierte die Schwedische Bahn einwandfrei mit der Deutschen. Im Laufe der Fahrt sammelten wir so viele Verspätungen ein, dass Alexej, der am Abend noch einen zweiten Nachtzug erwischt hatte, tatsächlich nur eine halbe Stunde nach uns in Gällivare ankommen sollte. Eigentlich hätten uns sechs Stunden trennen sollen, doch starteten wir in Stockholm zunächst erst mit zwei Stunden Verspätung, dann brach an unserem Zug mitten im schwedischen Niemandsland das Rad eines Waggons und früh am Morgen mussten aufgrund der extremen Kälte sämtliche Schlafwägen gegen besser beheizbare Sitzwägen ausgetauscht werden.

    Die Verspätung machte aber nichts. Wir hatten ohnehin noch eine Zwischenübernachtung in Gällivare eingeplant. Immerhin hatten wir in der ehemaligen Bergarbeiterstadt noch einen Großteil der benötigten Verpflegung für die anstehende Expedition einzukaufen.

    Und das war eine Menge: für rund 220 € kauften wir im örtlichen co-op sage und schreibe 2 Kilo Couscous, knapp 4 Kilo einer Mischung aus Haferflocken, Knuspermüsli, Trockenobst und Nüssen, 2,5 Kilo Nudeln, 2 Kilo Köttbullar, 1 Kilo Rentierfleisch, 400g Speck, Dosenfleisch, ein halbes Dutzend Tütensuppen, Preiselbeermarmelade, Zucker, Zimt, Gewürze, Butter sowie 36 Wraps nebst Käse, Schinken und Hummus. Hinzu kam dann noch frisches Obst und Gemüse wie Bananen, Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch und Karotten, eingelegte Oliven und getrocknete Tomaten. Einige weitere Dinge wie Kartoffelpüree, Fertignudeln, Thunfisch, insbesondere aber Süßigkeiten in rauen Mengen hatten wir bereits aus Deutschland mitgebracht. Beim Süßkram waren natürlich nicht nur Müsliriegel und Schokolade dabei, sondern vor allem meine heißgeliebten Haribos in allen erdenklichen Sorten.

    Als wir die gesamten Vorräte später in unserer Unterkunft ausbreiteten, waren wir drei ziemlich zuversichtlich, dass unser Verpflegungsvorrat auch dann reichen sollte, wenn wir mit dem ersten Wintersturm gute zwei Wochen eingeschneit werden würden…  

    Nun da wir vollständig und die Einkäufe erledigt waren stieg natürlich die Motivation! Am morgigen Tag sollte es nach Ritsem und damit zum Startpunkt unserer Tour gehen! Wir packten die letzten Dinge zusammen und gönnten uns noch die besten Burger mit Pommes von ganz Gällivare. Die gibt’s übrigens bei Fat Tony – wer kennt ihn noch aus den Simpsons? Die Burger waren großartig und definitiv eines der Essen, welches wir uns während der Tour immer wieder als Festmahl für den Moment vorstellten, wenn wir wieder in Gällivare ankommen sollten 😉

    Nachdem ich auf der Zugfahrt das Buch „Überleben“ über die realen Geschehnisse um ein uruguayisches Rugby-Team, welches 1972 in den Anden mit ihrem Flugzeug verunglückt war, zu Ende gelesen hatte, musste ich mich in Gällivare noch entscheiden, welches Buch ich in den Sarek mitnehmen wollte. Bis hierhin hatte ich zwei Bücher mit dabei: „Never give up“ als die neueste Autobiografie von Bear Grylls und „Das Eis und der Tod“. Letzteres berichtet über den dramatischen Wettlauf zum Südpol vor über 100 Jahren zwischen dem Norweger Roald Amundsen und dem Briten Robert Falcon Scott.

    Dem Titel nach hätte ich mich vermutlich für „Never give up“ entscheiden sollen, aber schlussenendlich gelangte dann doch „Das Eis und der Tod“ bei meiner Ausrüstung für die Tour. Als schlechtes Omen schien mir der Titel des Buches nicht geeignet. Das andere Buch sollte zusammen mit einigen Ersatzklamotten in unserer Unterkunft bleiben.

    Am nächsten Morgen fuhren wir mit einem Kleinbus vom Bahnhof Richtung Ritsem. Die Aussicht in die tief verschneite Landschaft war bereits fantastisch. Über zugefrorene Seen blickten wir gen Süden auf die dort liegenden Berge, die die nördliche Grenze des Sarek markierten. Beeindruckend erstreckten sich ihre eis- und gletscherbeladenen Gipfel bereits hier bis zu 2000 Meter in die Höhe.

    In Ritsem quartierten wir uns für eine weitere Nacht ein. Dort packte ich auch endlich meine neuen Skier aus, die Chris mir aus Norwegen mitgebracht hatte. Geil, dachte ich! Eine Hälfte des mir wohlbekannten Konterfeis von Roald Amundsen prangte markant auf der Spitze eines jeden Ski und würde beim Laufen immer zusammengeführt werden. Sein Gesicht war mir noch von der Querung der Hardangervidda allzu bekannt – ich hatte dort schließlich dasselbe Modell gehabt. Und irgendwie war es für mich auch motivierend, wenn mir unterwegs gefühlt einer der größten Abenteurer der letzten Jahrhunderte zusah.

    Den Aufbruch planten wir für den nächsten Morgen, wenn wir auch den Rest unserer Ausrüstung erhalten sollten. Dieser würde von unserem Ausrüster bis nach Ritsem transportiert. Zuvor wollten wir noch mit den LVS-Geräten die Lawinenverschüttetensuche trainieren. Doch gerade als wir rausgehen wollten kam von Alexej die Hiobsbotschaft. Er hatte unseren satellitengestützten Notfallsender, mit dem wir Kontakt nach Hause aufnehmen, aber auch eine Rettung organisieren konnten, in Gällivare vergessen. Sage und schreibe 182 Kilometer entfernt.

    Wir versuchten irgendwie einen Transport zu organisieren und hatten Glück. Unsere Gastgeberin im Bed & Breakfast, Sofia, würde den Sender am nächsten Morgen zum Bahnhof bringen. Von dort aus würde der Fahrer des Kleinbusses ihn am kommenden Tag nach Ritsem mitnehmen. Das würde zwar einen verzögerten Start für uns bedeuten, doch war der Notfallsender letztlich einer unserer wichtigsten Ausrüstungsgegenstände.

    Am Abend zogen dichte Wolken auf, aus denen es zu schneien begann. Von den Temperaturen war es viel zu warm. Es hatte keine minus 5 Grad draußen. Der Wettervorhersage nach sollte sich das in den kommenden Tagen mit bis zu minus 27 Grad aber ändern. Daneben wurde viel Sonne bei wenig Wind, guter Sicht und kaum Neuschnee erwartet. Perfekte Bedingungen für unseren Start also! Fehlte nur noch der Notfallsender…

    So, jetzt aber zum Bericht von der eigentlichen Tour! Wobei, falls ihr sie noch nicht gesehen habt, gibt es hier vorab noch mal unsere geplante Route im Detail zu sehen:

    Tag 1: Von Ritsem über den zugefrorenen Akkajaure (14 km)

    Tag 1 der Expedition! Wir waren noch nicht mal gestartet und fieberten bereits … auf die Ankunft des Notfallsenders. Aber zum Glück lief alles glatt. Ich bin mir sicher, dass das erleichterte Aufatmen von Alexej, der sich vermutlich den ein oder anderen Vorwurf gemacht hatte, noch bis Gällivare zu hören war. Aber damit war immerhin auch unsere Vermieterin im Bed & Breakfast informiert, dass der Notfallsender angekommen war 😉

    Kurz zuvor hatten wir die gesamte restliche Ausrüstung von unserem Verleiher in Empfang genommen: für jeden eine sogenannte Pulka, d.h. den Materialschlitten mitsamt Packsack, Gestänge. Gurtzeugs, daneben die beiden Expeditionszelte, zwei Benzinkocher mit üppig kalkulierten 9 Litern Brennstoff und die restliche Skiausrüstung.

    Derweil schneite es draußen weiter und über den Akkajaure, den großen vereisten See, der sich südlich von Ritsem befand und den wir am heutigen Tag zu queren hatten, blies ein eisiger Wind. Noch hatte das Wetter nicht gewechselt. Der versprochene Sonnenschein ließ auf sich warten.

    Um 13 Uhr brachen wir schließlich auf! Auf den Pulkas waren über 100 Kilogramm an Ausrüstung, Verpflegung und sonstigem Equipment verladen! Wahnsinn, das Abenteuer ging los! Wir folgten in einer ersten Abfahrt den teils zugeschneiten Spuren mehrerer Schneemobile hinunter zu den Ufern des Akkajaure. Was für ein Gefühl! Ein Jahr nach der Hardangervidda waren Chris und ich wieder unterwegs und diesmal sogar zu dritt! Alexej das erste Mal auf Backcountry-Ski und mit Pulka im Schlepptau. Er startete zwar etwas langsamer als Chris und ich zunächst vorlegten, aber das war eine Technikfrage, die sich in den kommenden Tagen einstellen würde! Irre, meine Freude und die der anderen war riesengroß.

    Ganze 10 Kilometer sollten wir zunächst in südlicher Richtung über die vereiste und windige Oberfläche des Akkajaure laufen. In einem Bogen auf den nordwestlichen Rand des Sarek Nationalparks zu und in Richtung der majestätischen Gipfel des Bergmassivs Áhkká, welches wir an deren westlicher Flanke umrunden würden. Da wir uns hier noch auf dem Padjelantaleden, einem Fernwanderweg befanden, war der Weg durch rote Stangen markiert. Einfach über den See laufen wäre mutmaßlich auch gegangen, doch war der See an manchen Stellen nicht komplett zugefroren und das Eis brüchig.

    Während wir über die raue Eisoberfläche des Sees liefen, blies uns von Westen ein eiskalter Wind entgegen. Er wirbelte Schnee- und Eiskristalle in rasender Geschwindigkeit über den gefrorenen See. Das erinnerte mich stark an den letzten Tag während der Hardangerviddaquerung. Doch wir kamen gut vorwärts. Nach anderthalb Stunden erreichten wir einige der in der Mitte des Akkajaure gelegenen Inseln, die uns ein Stück weit von dem Wind abschirmten. Es war unglaublich zu sehen, welche Kraft die Natur hier entfaltet hatte. An den kleinen Inseln wölbten sich hellblaue Gebilde aus Eisschollen von der eigentlichen Seeoberfläche teils meterhoch empor. Eine beeindruckende Szenerie, in der wir eine erste kurze Pause einlegten.

    Im Gegensatz zur Hardangervidda im letzten Jahr liefern wir viel mehr auf Schnee denn auf Eis, manches Mal durch kleinere Triebschneeansammlungen, die sich im Windschatten der Inseln gebildet hatten. Mir selbst kam das Ziehen der Pulka im Vergleich hier in den ersten Stunden mühsamer vor, was an diesem ersten Tag vielleicht aber auch an dem erheblichen Gewicht lag, dass wir da hinter uns herzogen. Das Laufen selbst empfand ich angenehmer. Irgendwie runder als auf dem Eispanzer der Hardangervidda.

    Die andere Pulka – wir hatten diesmal welche, die über ein Gestänge an uns befestigt waren im Gegensatz zu der Seilverbindung vom letzten Mal – ließ sich deutlich besser kontrollieren. Das zeigte sich bereits hier in der Ebene wie auch auf der zuvor kurzen Abfahrt zum See hinunter.

    Wir kamen gut vorwärts! Alexej war zwar stets hinten dran, aber nicht deutlich langsamer als wir und wir spielten uns hier nach und nach auf ein gutes Tempo für alle ein. Nach drei Stunden hatten wir das gegenseitige Ufer des Akkajaure erreicht. Wir ließen das große karge Eisfeld des Sees hinter uns und betraten in den noch rauen Bedingungen dieses ersten Tages hügligeres Gelände. Die Grenze zum Nationalpark wie auch das gewaltige Massiv der Áhkká kam näher und näher. Je später es wurde, desto gedämpfter erschien das Licht durch die tief hinter den Wolken stehende Sonne.

    Nach rund 14 Gesamtkilometern stoppten wir vor einem lichten Wald aus kargen Birken. Der erste Lageraufbau im tiefen Schnee. Klar, dass der noch nicht eingespielt war…

    Wir bauten zunächst die beiden Expeditionszelte auf. Wir hatten ein größeres Zelt mit Vorzelt für drei Personen sowie ein kleineres, ebenfalls mit Vorzelt, für zwei Personen. Während Chris und ich das größere bezogen, nahm Alexej mit dem kleineren Zelt vorlieb. Erst nachdem wir in jedem Zelt einen Kältegraben ausgehoben und die Seiten der Außenzelte mit geschaufeltem Schnee beschwert hatten, begannen wir mit dem Schmelzen von Schnee für genügend Wasser.

    Klassischer Anfängerfehler vermutlich. Denn wir sollten schon am ersten Abend feststellen, dass uns das Schmelzen von Schnee für Trinkwasser für drei Personen unheimlich viel Zeit kosten würde. Auf knappe 5 Stunden am Tag sollte es sich einpendeln. In der Hardangervidda hatten Chris und ich noch das Glück gehabt, dass wir an einigen Hütten ab und an unsere Trinkwasservorräte auffüllen konnten. Da kam uns all das in der Erinnerung gar nicht so problematisch vor. Vielleicht hatten wir es aber auch einfach verdrängt…

    Unser Lager hier am Südufer des Akkajaure und westlich von der Áhkká gelegen war ein großartiger erster Campspot! Wir lagen leicht erhöht und konnten Richtung Norden bis zum anderen Seeufer in Richtung Ritsem schauen, von aus wir etwa gestartet waren.

    Jeder von uns sollte übrigens eine Überraschung fürs Team mitbringen. Während Alexej Schokopudding als Pulver dabei hatte und Chris noch ein Geheimnis um seine Überraschung machte, wehte mein Team-Surprise noch vor Sonnenuntergang an einem der Skier unseres Lagers: eine Flagge mit dem Logo, welches Alexej gestaltet hatte! Perfekt, genauso sollte ein Expeditionslager ausschauen! Wir waren zwar noch nicht im Nationalpark selbst angelangt, doch die Freude über den Start der Tour war groß. Unser Lagerplatz strahlte Freiheit aus!

    Bereits um 19 Uhr wurde es dunkel. Wir drängten uns in das Vorzelt des größeren Zeltes, saßen am Rande des Kältegrabens und aßen Nudeln mit Thunfisch. Der Wind nahm draußen derweil zu und die Temperaturen sanken langsam aber stetig. Wir hatten zwei Gefrierfachthermometer dabei, von denen wir stets eines an einem Skistock vor dem Zelt aufhängten. So bekamen wir eine relativ zuverlässige Aussage über die Temperatur. Zwar lag sie an diesem Abend noch bei relativen warmen minus 10 Grad, dennoch fror es uns. Wir mussten uns wohl erst an die Kälte gewöhnen.

    Draußen verzogen sich derweil die zunächst dunklen Wolken. Sie wichen einem klaren Himmel, an dem sich schwach gräulich leuchtend die ersten Nordlichter zeigten. Nur schwach ausgeprägt mit wenig Dynamik und daher noch nicht spektakulär, dennoch ließen sie uns für die nächsten Tage hoffen. Vor allem nachdem ich davon gelesen hatte, dass die Sonne eine der größten Protuberanzen seit Beginn der Aufzeichnungen ausgestoßen hatte. Für gewöhnlich mündete das in einem wahren Polarlichtfeuerwerk und in zwei bis drei Tagen sollte es so weit sein.

    Nachdem wir noch eine Weile die schwachen Polarlichter beobachtet hatten, gaben wir zunächst nach Hause durch, dass es uns gut geht. Dann zogen wir uns zeitig in die Schlafsäcke und Zelte zurück. Ich freute mich irre auf meinen Grüezi Bag und darauf, im Schlafsack liegend, noch eine Tüte Haribos zu snashen! Vergangenes Jahr hatte ich den Schlafsack bereits als Top-Produkt von Grüezi Bag als Alpintester erhalten und diesen einem ausgiebigen Test unterzogen (könnt ihr übrigens in meinem Artikel „Mit dem Grüezi Bad Biopod Down Hybrid Ice Extreme 190 W auf Backcountry-Skitour durch die größte Hochebene Europas“ nachlesen). Ich wusste daher nur zu gut, dass mein Schlafsack nicht nur warm, sondern auch noch richtig bequem war. Und das Beste: meine Haribos waren noch nicht so schockgefrostet, dass sie steinhart waren! Die waren tatsächlich noch kau- und nicht nur lutschbar! Meine Welt war also am ersten Abend unserer Expedition noch richtig heile!

    Tag 2: Vom Südufer des Akkajaure in den Sarek Nationalpark (18 km)

    Die Rentierkröte! Fabelwesen der Hardangervidda! Eine Kreatur tierischer Gestalt, halb Rentier, halb Kröte, die vermutlich aus Sagen entstammt, die noch viel älter als jene der nordischen Mythologie sind…“ So hatte ich das Tier, welches Chris und ich seinerzeit während der ersten Nacht im Zelt gehört hatten, aufgrund seiner Laute in meinem Bericht über die Hardangervidda beschrieben. Und jetzt haltet euch fest! Die Rentierkröte gibt es auch am Rande des Sarek Nationalparks!

    Ich dachte ernsthaft am nächsten Tag, dass ich das geträumt haben musste, aber als ich Chris fragte, ob er in der Nacht auch die Laute der Hardangerviddakröte gehört hatte, bestätigte er das schmunzelnd. Die vergangenes Jahr aufgekommenen Spekulationen erhielten neuen Nährboden. Dieses Mal sollten wir jedoch nicht unwissend wieder nach Hause fahren, denn noch vor dem Mittag dieses Tages sollten wir gleich Dutzende Hardangerviddakröten zwischen den kargen Birken aufschrecken und zu Gesicht bekommen.

    Die Nacht im Schlafsack war zuerst einmal warm! Meine neue Isomatte, eine extrem isolierende Therma-a-Rest für Winterexpeditionen, leistete neben dem Grüezi Bag gute Dienste. Mir war nicht mal ansatzweise kalt gewesen.

    Irgendwie mochte ich mich aber nicht so recht an den VBL, den sogenannten Vapour Barrier Liner, gewöhnen. Dieser soll als dampfdichter Innenschlafsack auf langen Touren in extremer Kälte verhindern, dass die Füllung des Schlafsacks durch die eigene Körperfeuchtigkeit an Isolationsvermögen verliert.

    Das funktioniert per se erstmal gut, immerhin liegt man in dem VBL quasi „in seinem eigenen Saft“ – so wird es zumindest in vielen Erfahrungsberichten beschrieben. Ganz so schlimm war es nun nicht, aber es war für mich ein ziemliches Gefummel in den VBL hineinzukommen, darüber das wärmende Fleece-Thermoinlet zu ziehen und mit alledem dann wieder in den Schlafsack zu gelangen. Klar, irgendwann ist man drin und dann sollte sich das gegeben haben, aber mir wurde es mit den ganzen verschiedenen Lagen irgendwie unbequem. Ich fühlte mich in meinem schön weiten und entsprechend komfortablen Schlafsack durch einen viel schmaleren VBL eingeengt. Zudem raschelte er in der Nacht bei jeder Bewegung munter vor sich hin. Mein Schlaf war also zwar warm, aber nicht durchgängig.

    Aber okay, was man nicht so alles tut. Das Risiko, dass mein Grüezi Bag an Isolation verliert, wollte ich jedenfalls nicht eingehen. Insofern freundete ich mich mit dem VBL schon irgendwie an.

    Nach einem knappen Power-Frühstück bestehend aus einer ordentlichen Portion von unserem 4 Kilo-Vorrat des Haferflocken-Müsli-Trockenobst-Nussgemischs brachen wir um 10 Uhr auf! Erst dachte ich, dass wir spät starten würden, weil wir uns erst an die Abläufe gewöhnen mussten, aber die Folgetage sollte es auch nicht wirklich früher werden. Die Zubereitung von Wasser kostete abends wie auch morgens einfach elendig viel Zeit in dieser Kälte.

    Der Sonnenuntergang lag soweit nördlich um kurz nach 18 Uhr. So hatten wir immerhin noch gute 7 Stunden zum Laufen. Eine Woche später wäre Zeitumstellung, dann würde es abends natürlich länger hell sein.

    Von unserem Lagerplatz aus liefen wir im hügligen Auf und Ab unter einem strahlend blauen Himmel durch die Schneelandschaft. Lichter Wald aus kargen Birken erstreckte sich neben uns während dahinter die teils hohen Berge des Sarek zu sehen waren. Die Schneedecke erschien in reinem Weiß und glitzerte im Sonnenlicht wie ein Meer aus tausenden von Diamanten. Ich fand das unheimlich faszinierend, wunderschön anzuschauen.

    Ebenso wie die Stille. Wenn man mal drauf achtete, fiel einem erst auf, wie viele Laute man selbst verursacht. Sei es das Gleiten des Schlittens oder der eigenen Skier über den Schnee, der eigene Atem, das Rascheln von Kleidung. Es ist eigentlich nie wirklich still. Außer in einigen wenigen Momenten, in denen wir uns ein lauthalses „Stopp!“ zuriefen. Dann hielten wir alle inne und es war… absolut nichts zu hören! Eine vollkommene Stille, die von nichts unterbrochen wurde.

    Naja, von nichts außer von der Hardangerviddakröte! Da war sie wieder, noch vor dem Mittag des zweiten Tages! Ein unverkennbar krötenartiger Laut gefolgt von einem… wilden Geflatter?! Gesellte sich zu dem Mischwesen mit Anteilen aus Kröte und Rentier nun auch noch ein Anteil Vogel? Eine Art skandinavischer Wolpertinger womöglich?

    Nein, weit gefehlt. Das Rätsel, das Chris und mir nun ein ganzes Jahr lang zwar keine schlaflosen Nächte bereitet, aber uns ahnungslos zurückgelassen hatte, löste sich nun! Und zwar mit dem Auftauchen dutzender Schneehühner, die wild aus den Birkenwäldern um uns herum emporflatterten.

    Ernsthaft, googelt mal brav nach dem Ruf eines Schneehuhn oder hört euch unter diesem Link hier eine Aufnahme eines Alpenschneehuhns an. Das ist sicher mit dem skandinavischen verwandt. Jetzt denkt euch noch die zwitschernden Vogelgeräusche im Hintergrund weg und stellt euch vor, dass ihr nachts in einer Wüste aus Schnee und Eis im Zelt liegt und ihr keine Ahnung habt, was da draußen ums Lager schleicht und solche Geräusche macht. Ist doch kein Wunder, dass einem da der skandinavische Wolpertinger in den Sinn kommt…

    Zurück zum Trail! Das hügelige Terrain auf dem noch markierten Padjelantaleden setzte sich fort! Und ernsthaft, das war anstrengend. Im Höhenprofil unseres Trails war das stete Auf und Ab nicht zu sehen, aber wir kämpften uns hier mühselig im V-Schritt auf den Skiern eine Stufe nach der anderen hinauf. Derweil zog uns das volle Gewicht der Pulka wieder nach hinten. Irgendwie hatten wir damit gerechnet auf dem markierten Trail deutlich besser voranzukommen. Wie sollte es erst im unmarkierten Terrain werden?

    Dann verlor Alexej auch noch das Fell unter einem seiner Ski. Zum Glück bemerkte er das direkt am nächsten Anstieg. Das Fell war also schnell wieder eingesammelt, klebte aber kein Stück mehr. Wir befestigten es notdürftig mit signalgrünem Tape wieder an der Unterseite des Skis.

    Nach rund fünf Stunden hatten wir in südwestlicher Richtung knapp 12 Kilometer auf dem markierten Trail zurückgelegt und waren am See Kutjaure angelangt. Dieser See sollte für uns das Tor in den Sarek Nationalpark darstellen! Wir ließen auf seiner zugefrorenen Oberfläche die Markierungen des Padjelantaleden hinter uns und schlugen eine östliche Richtung ein. Wir hofften zum Flusslauf des Sjnjuvtjudisjáhká (nein, ich weiß nicht, wie man das ausspricht, aber ich hab es versucht…) zu gelangen und diesem flussaufwärts in den Sarek hinein folgen zu können.

    Am Rande des Sees überschritten wir die Grenze zum Nationalpark! Die Stelle war ziemlich markant. Voller Spuren von der letzten organisierten Tour. Schneemobile hatten deren Teilnehmer bis genau hier zur Grenze gebracht und tiefe Furchen im Schnee hinterlassen. Zwar hatten Wind und Neuschneefälle der vergangenen Tage die von hier abgehenden Skispuren teils unkenntlich gemacht, doch immer wieder waren Teile davon zu sehen. Und das vereinfachte uns die weitere Orientierung deutlich. Zumal es durch nun weniger lichte und stattdessen dichte Birkenwälder ging, in denen wir zeitweise Mühe hatten, mit den Pulkas an den Birken vorbeizukommen.

    Der Schnee im Wald war teils tief im Wald und das Vorankommen. Chris und ich liefen die meiste Zeit voraus und spurten so den Weg bis hin zum zugefrorenen und eingeschneiten Fluss. Nun ging es leichter voran. Auf dem Fluss, der nun an wenigen Stellen offen lag, stiegen wir aufwärts in Richtung des Ruohtesvagge: einem der Täler, dem wir in den kommenden Tagen weiter in den Sarek hinein folgen würden.

    Das vergletscherte Gebirgsmassiv der Áhkká lag nun mit seiner südlichen Flanke nördlich von uns während in der Ferne der ebenfalls vergletscherte Gipfel des Niják mit seinen steilen Flanken aufragte. Was für eine Wildnis! Ich war sprachlos. Die ganze Weite der Landschaft vor uns! Ich fühlte mich wahnsinnig klein hier.

    Am Abend stoppten wir an ein paar erhöht stehenden Birken. Wir hatten rund 18 Kilometer geschafft heute und wir waren endlich im Sarek angelangt! Campspot 2 lag innerhalb der Grenzen des Nationalparks!

    Während Alexej nach unseren Erfahrungen des Vortages direkt damit begann, Schnee zu Wasser zu schmelzen, bauten Chris und ich die Zelte auf. Anschließend gingen wir direkt zum Abendessen über: Kötbullar mit Nudeln und Preiselbeeren! Wahnsinn, ein echtes Festessen hier inmitten der Wildnis des Sarek!

    An diesem Abend wurde es schnell kälter. Das Thermometer, welches wieder am Skistock vor dem Zelt baumelte, zeigte zum Abendessen minus 14 Grad an. Der auffrischende Wind tat sein Übriges dazu. Und trotz der vielen Lagen, die ich anhatte, fror ich. Chris und Alexej ging es ähnlich. Jedenfalls waren wir alle nur wenige Stunden nach dem Sonnenuntergang im Schlafsack. Ich selbst schaffte es im Schlafsack nicht mal, mich noch für die eigentlich obligatorische Tüte Haribos wachzuhalten…

    Tag 3: Von der Áhkká bis zur verlassenen Renvaktarstuga (17 km)

    Boah. Minus 17 Grad und das noch am Morgen… Als ich meinen Kopf aus dem Zelt steckte, wünschte ich mich in den Schlafsack zurück. Es war vielleicht gerade mal 8 Uhr und seit bestimmt zwei Stunden hell.

    Das Gute an der Temperatur: es war erneut strahlend schönes Wetter. Nicht eine Wolke war am Horizont zu sehen. Dafür war es windig. Ein Wind von der Sorte, der eisig daherkam. Wir hatten auf einer Anhöhe gezeltet und konnten nach Westen dem Flusslauf des Sjnjuvjudisjáhká (nee, ich kann das immer noch nicht aussprechen – habs aber noch mal versucht) folgend weiter hinauf ins Tal blicken. In die Richtung, in die wir heute zu laufen hatten. Und genau die Richtung, aus der jetzt der eisige Wind wehte und den geneigten Hang hinauf Eiskristalle zu uns herüberwirbelte. Auf der anderen Seite des Flusses sah es noch ungemütlicher aus. Von hier drüben betrachtet schien der ganze Hang in Bewegung vor losen Schnee- und Eisflocken, die der Wind darüber trieb.

    Naja, „Gemütlich“ hatten wir uns ja auch nicht ausgesucht! Wir sollten also froh sein über den blauen Himmel. Dennoch drohten meine Hände an diesem Morgen abzufrieren. Sie waren seit dem Aufstehen taub geblieben, so dass ich damit kaum etwas anfangen konnte. Trotz der dicken Handschuhe gelangte auch keine Wärme hinein und ich gönnte mir eine von mehreren Packungen Handwärmern, die ich für solche Fälle mitgenommen hatte. Die hatten mir bereits in der Hardangervidda gute Dienste geleistet, wenn ich meine Hände partout nicht warm bekommen sollte.

    Während wir am laufenden Band Schnee schmolzen um Wasser fürs Frühstück und einen Kaffee zu erhalten, tanzten wir auf unserer Anhöhe ums Lager herum.

    Beim Laufen und Ziehen der Pulka war ja alles fein: der Körper produzierte Wärme wie ein Kraftwerk, aber morgens und abends am Lager war es eine Herausforderung überhaupt warm zu werden oder zu bleiben.

    Und dann kamen noch solche Probleme dazu wie heute: einer unserer Benzinkocher gab den Geist auf. Wir hatten zwei Kocher mit dabei. Neben dem Notfallensender waren das unsere beiden wichtigsten Ausrüstungsgegenstände. Denn auch wenn wir von regelrechten Wassermassen umgeben waren, die Herausforderung bestand darin, dieses in trinkbare Form zu bekommen. Auf Dauer und in Anbetracht unseres Flüssigkeitsbedarfs war das eine echte Herausforderung.

    Und nun, gerade mal 10 Kilometer hinter der Grenze des Nationalparks versagte einer von beiden Kochern bereits den Dienst. Das Ventil ließ sich nicht öffnen bzw. schließen und von der Brennstoffflasche gelangte kein Benzin mehr zum Brenner.

    Zugegeben, das war mit Abstand das bescheidenste Ereignis an diesem Morgen. Wir standen kurz vorm Abbruch der Tour. Wir hatten nur noch einen funktionierenden Kocher und waren gerade erst in den Sarek gestartet. Mit nur einem Kocher nun weiterzugehen könnte uns ins ernsthafte Schwierigkeiten bringen, wenn auch dieser noch ausfallen würde…

    Nach einer gefühlten Ewigkeit gelang es uns den Kocher zu reparieren. Zwar sollte er in den kommenden Tagen mehr schlecht als recht funktionieren, aber diesen Morgen hatten wir ein gutes Gefühl und konnten weiterziehen. Erleichterung hatte sich breit gemacht. Und Chris zog zur frühmorgendlichen Feier des Tages just seine Teamüberraschung aus dem Rucksack: Springseile! Eines für jeden von uns!

    Die perfekte Überraschung in genau dem richtigen Moment! Wir alle hatten über eine Stunde an dem kaputten Kocher herumgefummelt und uns in Wind und Kälte kaum bewegt. Wir waren durchgefroren. Doch während der Challenge, wer von uns am meisten Sprünge im Tiefschnee schafft, wurde uns schnell wieder warm! Ich glaub Chris schaffte doch glatt eine zweistellige Zahl. Allerdings auch erst nachdem er die Schneedecke um sich herum in dutzenden Sprüngen plattgetreten hatte. Dennoch: im Vergleich zu Alexej und mir lag er uneinholbar vorne!

    Wir brachen erst um 11 Uhr auf. Die Reparatur des Kochers hatte uns diesen Morgen ordentlich Zeit gekostet. Zeit, die wir nun auf dem zugefrorenen Flusslauf, der immer breiter wurde, aufzuholen versuchten. Wir legten ein ordentliches Tempo vor und ließen alsbald die letzten knorrigen Birken im Anstieg hinter uns.

    Wir liefen die ganze Zeit im eisigen Gegenwind. Auch wenn er nicht sonderlich kräftig war, er genügte, um uns selbst im Laufen immer wieder die Wärme aus dem Körper zu ziehen. Erst als sich der Fluss in einigen Windungen um eine Anhöhe wand, wurde es besser, weil wir etwas geschützt laufen konnten.

    Die Landschaft erschien abermals gigantisch am heutigen Tag. Wir liefen so weit, unentwegt ohne Pausen, doch gefühlt kamen wir in der Weite dieser Szenerie kaum vorwärts. Ich fühlte mich und mein Team abermals winzig in dieser Landschaft, aus der nur einige vereiste Bergriesen mit ihren Gletschern emporragten.

    Als wir gen Süden ins Ruohtesvagge abbogen, ging es spürbar bergan. Wir ließen den Fluss hinter uns und kämpften uns mit den schwer beladenen Schlitten eine Anhöhe hinauf. 300 Höhenmeter hatten wir hier am Stück aufzusteigen. Und Kuppe um Kuppe wollte dabei überschritten werden.

    Die Höhenmeter klangen nicht viel und der Anstieg selbst war gewiss auch nicht elendig steil, aber mit 35 bis 40 Kilogramm, die jeder von uns aufgeteilt auf Pulka und Rucksack hinter sich herzog und auf dem Rücken trug, geriet die zweite Tageshälfte zu einer größeren Anstrengung. Wir hofften nach jeder Kuppe erneut endlich auf dem Sattel und damit höchsten Punkt anzulangen. Wir hofften, dass es nachhaltig wieder bergab gehen würde, doch wir irrten uns ein ums andere Mal.

    Zwar ging es immer wieder kurzzeitig bergab, doch nur um kurz darauf wieder anzusteigen. Die Pausen, die wir zwischendurch gebraucht hätten, fielen aus. Wir fanden keinen Platz, der uns Schutz vor dem Wind bot. Und im Wind selbst mochten wir keine Pause einlegen. Zu sehr zog er uns die Wärme aus dem Körper.

    Alexej kämpfte. Während Chris und ich meist vorneweg liefen, tat er sich mit der Pulka und dem Anstieg schwerer und fiel immer wieder ein Stück zurück. Dann erreichten wir den Sattel… endlich! Der höchste Punkt, den wir im Sarek selbst erreichen sollten. Knapp unter 1.000 Höhenmeter. Keuchend stand ich neben Chris und wartete auf Alexej, der wenige Minuten später aufschloss. Wir waren ohne Pause knappe sechs Stunden gelaufen.

    Mein Blick schweifte in die Landschaft. Nach den Berichten im Internet, die ich vor der Tour gelesen hatte, sollten wir hier oben auf dem Sattel möglicherweise die verlassene Hütte eines Rentierhüters auffinden können: die Renvaktarstuga. Und tatsächlich, südwestlich von uns zeichneten sich vor einem Hang die Konturen eines Gebäudes ab. Wir hatten keine Ahnung, in welchem Zustand die Hütte sein würde. Ich hatte gelesen, dass sie teils verfallen war, aber wenn wir Glück hatten, dann könnte sie uns eine Unterkunft für die Nacht bieten.

    Wir zogen also weiter! Alexej jubelte schon förmlich vor Erleichterung, dass die Strapazen des Tages nun ein Ende hätten. Und das taten sie auch!

    Die Hütte machte in ihrem gefrorenen Innern zwar einen eher schäbigen Eindruck und bot, da sich die Tür nicht schließen ließ, drinnen dieselben Minustemperaturen wie draußen, doch bot sie uns auch Schutz vor dem noch immer kalten Wind. Wer hätte gedacht, dass wir hier am höchsten Punkt unserer Expedition tatsächlich so eine willkommene Unterkunft finden sollten? Im Vergleich zu draußen war es drinnen jedenfalls schon irgendwie gemütlich, wenn man sich einmal an das Innere gewöhnt hatte. Vor allem nachdem wir jeder unser Lager auf den Bänken in der Hütte bereitet hatten.

    Und es ist schier unglaublich, welchen Komfort die heruntergekommene Hütte auch darüber hinaus für uns bedeutete. Allein das Schmelzen des Schnees und Kochen – es gab köstliche Köttbullar mit Speck und Nudeln – fiel uns im windgeschützten Innern der unverhofften vier Wände deutlich leichter als draußen im Wind.

    Die Landschaft hier auf dem Sattel war grandios. Nach meinem Empfinden eine der fantastischsten Landschaften, die wir während der gesamten Tour erleben sollten. Hier oben waren keinerlei Bäume oder Sträucher mehr zu sehen. Rings um die spärliche Gemütlichkeit der verlassenen Hütte herum gab es nichts außer dieser beeindruckenden Weite einer Landschaft aus Schnee und Eis. Ein in Gänze weißes Tal, an dessen Seiten sich die Gipfel vollkommen schnee- und eisbedeckter Berge in die Höhe erhoben.

    War diese Landschaft für sich genommen schon fantastisch genug, sollte es allein damit an diesem Abend jedoch nicht getan sein. Bereits mit Einbruch der Dämmerung sollten wir ein nicht nur ein Polarlichtspektakel erleben, sondern inmitten der Wildnis des Sarek ein regelrechtes Feuerwerk aus Nordlichtern…

    An diesem Abend war es kalt. Eiskalt. Auch im Innern der Hütte. Noch vor Sonnenuntergang zeigte unser Thermometer draußen am Skistock – direkt neben der wehenden Flagge unserer Expedition – über minus 20 Grad an. Ich legte wie Chris und Alexej im Verlaufe des Abends eine Lage Klamotten nach der anderen an, trug bis zu drei Paar Handschuhe, doch die Kälte zog durch sämtliche Schichten hindurch. Die Anstrengung des Tages forderte da sicher auch ihren Tribut.

    Es war der erste Tag, an dem mein Smartphone den Dienst aufgrund von Kälte versagte. Auf dem Display war nur noch eine Warnmeldung zu sehen. Ein gelbes Dreieck mit schwarzem Ausrufezeichen auf schwarzem Grund. Darunter die Information, dass das Handy in den kalten Temperaturen, in denen ich mich gerade befinde, nicht genutzt werden kann ohne dass der Akku Schäden nimmt. Und auch meine Kamera versagte zuweilen den Dienst. Das Objektiv fuhr sich wenn überhaupt nur noch langsam ein.

    Nach und nach dämmerte es. Die pastellfarbenen Tönen draußen gingen in die blaue Stunde über. Chris und Alexej riefen mich nach draußen. Es war noch nicht mal ganz dunkel, als über uns ein paar Lichtkugeln erschienen und dann auf einmal auf der Bergkuppe südlich von uns ein sich anmutig bewegender, zunächst weißer, dann grünlich werdender Schleier: ein Nordlicht! Er tanzte, bewegte sich von links nach rechts und breitete sich langsam weiter über den Himmel aus. Staunend, gebannt von dem Spektakel, standen wir draußen in der Kälte.

    Die Aurora tanzte weiter, wurde dynamisch. Zu dem grünlichen Leuchten gesellte sich ein rötliches. Dann auf einmal über uns ein großer Schleier, der sich anmutig bewegte und von dem gefühlt hunderte von Strahlen in alle Richtungen ausströmten. Derweil bildete sich hinter uns, wo auch der Mond leuchtete und der Himmel vom restlichen Licht der untergegangenen Sonne noch heller erschien, ein weiteres tanzendes Band aus grünem und rotem Licht und drehte Pirouetten. Ein unglaubliches Spektakel…

    Wir waren zunächst völlig gebannt. Die Lichter wurden immer mehr, bis beinahe in alle Himmelsrichtungen die Aurora zu sehen und der Himmel über und über vom Nordlicht bedeckt war. Wir versuchten Fotos zu machen. Und selbst auf dem Handy von Chris, dem einzigen, was noch funktionierte, waren die Polarlichter zu sehen.

    Ich kann mich kaum erinnern wie lange wir an diesem Abend noch frierend und mit tauben Fingern, aber unendlich fasziniert, in den Nachthimmel geblickt hatten bevor das Spektakel nach und nach weniger wurde und ein Ende fand. Vielleicht waren es zwei Stunden, die wir draußen standen. Vielleicht war es auch länger… in jedem Fall bin ich unendlich dankbar, dass wir das hier am höchsten Punkt unser Tour durch den Sarek erleben durften! Natürlich gibt es eine wissenschaftliche Erklärung für das Nordlicht, aber darüber hinaus ist es ganz unzweifelhaft auch Magie! Und zwar eine solche, von der ich hoffe, dass jeder von euch sie einmal erleben darf…

    So weit zum ersten Teil meines Berichts unserer Winterquerung durch den Sarek! Wie es im zweiten Teil unserer Expedition weiterging, lest ihr im kommenden Bericht!

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