2
Jul
2023

Auf Backcountry-Ski durch den Sarek Nationalpark! Bericht meiner Winterexpedition oberhalb des Polarkreises – Teil 2

Nach dem Feuerwerk an Polarlichtern zum Ende der ersten Hälfte der Tour ging es in der zweiten Hälfte der Winterquerung zunächst nach Skarja, dem Herz des Sarek Nationalparks, wo in einer spektakulären Szenerie gleich vier Täler aufeinandertreffen. Von dort aus sollten wir uns weiter in grob südöstlicher Richtung durch die große Bergwildnis des Sarek und die endlose Weite des tief verschneiten Lapplands in Richtung Kvikkjokk und wieder gen Norden nach Saltoluokta schlagen. Wir waren mitten angelangt in einer der abgeschiedensten Regionen Europas und würden nun die Abschnitte mit der im Vorfeld höchsten Lawinengefahr angehen. In den weiteren Tagen unserer Backcountry-Ski-Expedition erlebten wir ein weiteres Spektakel an Nordlichtern wie auch Lagerplätze im Tiefschnee, unverhoffte Wasserquellen zur rechten Zeit und die durchdringende Wärme einer Holzsauna im Nirgendwo nach unerbittlich kalten Nächten und einem Kampf gegen die niedrigsten Temperaturen der gesamten Tour. Hier lest ihr nun den zweiten Teil meines Berichts über die Winterquerung des Sarek Nationalparks in Schwedisch Lappland…

Inhaltsverzeichnis

    Tag 4 – Von der verlassenen Renvaktarstuga nach Skarja (22 km)

    Der Morgen von Tag 4! Es muss gegen 8 Uhr gewesen sein als ich aufwachte und noch im Schlafsack liegend versuchte mich zu orientieren. Ich pfriemelte meinen Kopf aus der tief übergezogenen Kapuze meines Schlafsacks und blickte durch die nebligen Wolken meines kondensierenden Atems gegen das Dach einer Hütte. Deren Inneres war über und über mit Eis- und Schneekristallen überzogen. Ach stimmt ja, ich war im Sarek… am höchsten Punkt der Backcountry-Skitour durch den Nationalpark. Wir hatten gestern diese verlassene Hütte gefunden und ein irres Polarlichtspektakel erlebt.

    Ich versuchte mich auf der schäbigen Holzbank, auf der ich im Schlafsack halbwegs gepolstert auf meiner Isomatte lag, nach links zu drehen. Gegenüber auf der Bank auf der anderen Hüttenseite, ebenfalls tief vermummt, lagen Alexej und Chris. Während von Chris zumindest noch die Nasenspitze aus dem Schlafsack herausragte, war von Alexej rein gar nichts zu sehen. In seinem voluminösen schwarzen Kunstfaserschlafsack und dem schummrigen Hütteninnern sah das Alexej-Gebilde gegenüber wie eine dicke unbeholfene Raupe aus, die sich von Zeit hin und her wälzte. Die Mutterraupe von der kleineren Variante daneben vielleicht, denn Chris selbst steckte in der dünneren, ebenfalls schwarzen Daunenschlafsackvariante desselben Herstellers und sah beinahe so aus, wie eine kleinere Variante von Alexej.

    Ehe ich aufstand mappelte ich noch im Schlafsack die letzten Haribos vom Vorabend weg. Erstens konnte ich die ja kaum verkommen lassen – die Tüte war immerhin angebrochen – und zweitens hatten die nach der Nacht im Schlafsack trotz der Kälte außerhalb eine kaubare Konsistenz! Das galt es ausnutzen und damit war ich von jeder Schuld befreit!

    Das übliche Müslifrühstück später peilten wir den Start für 10 Uhr an. Draußen hatte es bestes Wetter! Ein strahlend blauer Himmel während die ersten Sonnenstrahlen sich über die gletscherbedeckten Berge östlich von uns erhoben. Der Wind hatte nachgelassen und es hatte angenehme minus 13 Grad draußen. Eigenartigerweise schien es am Abend stets deutlich kälter zu sein als am frühen Morgen. So ganz erklären konnte ich mir das nicht, aber wirklich traurig war ich um die vergleichsweise warmen Temperaturen auch nicht. Was hatten wir am letzten Abend und in der Nacht noch bei über minus 20 Grad gefroren. Die minus 13 Grad fühlten sich nun in Kombination mit den ersten wärmenden Strahlen der Sonne auf dem Gesicht beinahe angenehm an.

    Drinnen beim Zusammenpacken war das gefühlt völlig anders, auch wenn es dieselben Temperaturen wie außerhalb der Hütte hatte. Der von vier Wänden umschlossene Raum hatte etwas von einem Tiefkühlfach an sich. Es kam mir beinahe so vor, dass wenn ich von draußen wieder nach drinnen kam, um meine Ausrüstung zusammenzupacken, dass ich wie in einen Kältegraben hinabstieg. Ich bin nicht sicher, weshalb dieser Eindruck entstand. Vielleicht lag es daran, dass nur wenig Sonnenlicht von draußen durch die offenstehende Tür hineingelangte und die Sonne hingegen draußen mit ihrem Anblick so viel Wärme zu spenden vermochte.

    Ich hatte wirklich gut geschlafen. Und Chris und Alexej offenbar ebenso. Ich fühlte mich nach den Anstrengungen des gestrigen Tages deutlich kräftiger und freute mich auf das Laufen heute. Vor allem in der unverändert guten Wetterlage! Ich hatte sehr darauf gehofft, dass wir das als sogenannte Herz des Sarek Nationalparks betitelte Skarja mit guter Sicht erreichen würden und genauso sollte es nun offenbar auch kommen. Die Vorzeichen hätten nicht besser sein können.

    Rund 13 Kilometer trennten uns von Skarja. Die sollten wir heute gut ablaufen können. Von dem Punkt, an dem wir uns hier in einem Tal namens Ruohtesvagge befanden, sollte es beinahe eben, leicht bergab bis Skarja gehen. Ein langanhaltender und kräftezehrender Aufstieg wie am Vortag würde uns heute erspart bleiben.

    Die ersten Schritte fühlten sich großartig an! Das wärmespendende Licht der Sonne tat gut nach der frostigen Nacht. Wir liefen Kilometer um Kilometer in der üblichen Formation: Chris oder ich vorneweg, Alexej ein Stück hintendran. Trotz der schweren Schlitten, die wir hinter uns herzogen, liefen wir in diesem eben Teil recht kraftsparend und machten gut und gerne vier Kilometer die Stunde.

    Immer wieder kreuzten Spuren im Schnee unseren Pfad: handflächengroße Tatzen mit Krallen daran. Wir wussten die Spuren nicht zu deuten und fragten uns, welches Tier hier in der eisigen Wüste von der einen Talseite zur anderen lief. Relativ ahnungslos, aber in dem Bewusstsein, dass es an großen Säugetieren hier neben dem Elch und dem Rentier noch den Bär, den Luchs, den Wolf und das Vielfraß gab, einigten wir uns darauf, dass es Luchsspuren sein müssten. Bär, Elch und Rentier wussten wir auszuschließen. Mittlerweile gehen wir davon aus, dass es sich um die Spuren eines Vielfraßes gehandelt haben dürfte.

    So ein großartiger Tag! Es lief sich einfach so weg und wir würden sicher gegen Mittag bereits nach Skarja gelangen. Die Motivation heute war immens, das Gefühl von Freiheit in dieser weiten Berglandschaft einfach nur großartig und grenzenlos. Das Wetter war perfekt und wir hofften, dass es noch zwei Tage so bleiben würden. Die Lawinensituation war stabil. Dafür hatte das gute Wetter ohne Neuschnee in den vergangenen Tagen bei wenig Wind gesorgt. Entsprechend sahen wir kaum frische, ja noch nicht mal große alte Lawinenabgänge. Wenn es so bliebe, dann würden wir auch durch die engen Trogtäler, die nach Skarja vor uns liegen würden, gut hindurchkommen.

    Das großartige Duracell-Hasen-Feeling aus Neuseeland war zurück! Nein, das ist keine Schleichwerbung hier… zumindest keine bezahlte! Jedenfalls fühlte ich mich voller Power und Energie nach der guten Nacht! Richtig kräftig und dies immerhin trotz des Gewichts der Pulka. Das Ziehen des Schlittens, das Gleiten der Ski! Jede Bewegung ging ins Blut über und wurde ein rhythmischer Ablauf! Machte das Spaß hier und heute! Mitten im Nirgendwo dieser Eiswüste!

    Nach rund drei Stunden kamen wir nach Skarja. Das Herz des Sarek Nationalparks, wo gleich vier Täler in dieser spektakulären Bergwelt aufeinandertreffen: das Ruohtesvagge, das Rapadalen, das Guohpervágge und das Álggavágge. Weiter unten entspringt der Fluss Rapa bzw. Ráhpajakhá, dessen Flusslauf wir für einige weitere Tage in südöstlicher Richtung durch das Rapadalen weiterfolgen würden. Beeindruckend! Und der perfekte Spot für eine längere Pause in der Sonne!

    Meisten aßen wir in der Pause einen von unseren vorbereiteten Wraps, auf denen sich Käse, Schinken und Humus befanden. Am ersten Tag der Tour waren diese noch gut essbar. Nun an Tag 4 geriet das Kauen der Wraps mehr und mehr zu einer Challenge itself! Die Dinger waren so tiefgekühlt, dass sie eher einem Eis mit ziemlich gewöhnungsbedürftigem Geschmack gleichkamen. Mehr zum Essen denn zum Lutschen geeignet. Dennoch hatten zumindest Chris und ich doch Geschmack an den Wraps gefunden und versuchten zumindest jeden Tag einen der vereisten „Riegel“ mit einem knoblauchartigen Humusgeschmack herunterzubekommen. Das dauerte zwar, aber mit fortschreitender Zeit tauten die Wraps häppchenweise im Mund auch nach und nach wieder auf.

    Nach der Pause fuhren wir rund 200 Höhenmeter hinunter zum breiten Ráhpajakhá. Die über 1.000 Meter hohen Steilwände des vergletscherten Alkatj-Massivs ragten südlich von uns auf und schirmten uns von der tiefstehenden Sonne ab. Derweil blies hier unten wieder ein leichter Wind. Es wurde schlagartig kühler als wir dem vereisten Flusslauf folgend die Grenze vom Licht zum Schatten überschritten. Es war beschwerlich hier unten zu laufen. Deutlich anstrengender als noch in der Hochebene zuvor. Wir sackten bei jedem Schritt tief ein.

    Sicherheitsabstände zwischen uns wahrend folgten wir dem Flusslauf Biegung um Biegung für einige weitere Kilometer wie auch Stunden gen Südosten. Der ganze Flusslauf war ein einziger riesenhafter Kältegraben, in den unablässig frostige Luft von den steilen Bergflanken im Norden wie auch im Süden hinabfloss. Wir froren sobald wir nur eine kurze Pause machten. Kein Vergleich, zu dem was wir noch am Vormittag auf dem Weg nach Skarja erlebt hatten. Zeitweise war Alexej da noch ohne Shirt gelaufen. Hier nun, abgeschirmt vom Licht der Sonne, trugen wir wieder mehrere Lagen unserer Funktionskleidung und die genügten auch nur in der fortwährenden Bewegung.

    Die Hoffnung darauf noch mal in die Sonne zu gelangen war an diesem Tag vergebens. Das Alkatj-Massiv war zu hoch, die Sonne stand zu niedrig. Das Tal, in dem wir liefen, war eng eingeschnitten. Wir sahen keinen potentiellen Platz mehr, an dem wir das Lager noch mit einer Aussicht auf ein paar letzte Sonnenstrahlen hätten errichten können. Doch hier unten im Lauf des Flusses zu bleiben war auch keine Option. Die Kälte hatte sich beißend festgesetzt.

    Gegenüber am nördlichen Flussufer schien es neben einem markanten Felsen ein vielleicht 20 bis 30 Meter höhergelegenes Plateau zu haben. Mühsam kämpften wir uns die steile Flanke mit den Schlitten hinauf und begannen mit der Errichtung unseres Nachtlagers. Bis hierhin hatten wir sage und schreibe 22 Kilometer zurückgelegt. Was für ein Tag!

    Hohe Berge und nichts als Eis um uns herum! Als ich das Thermometer aus meinem Rucksack zog, zeigte es bereits minus 17 Grad und fiel rapide weiter. Außerhalb des Rucksacks hatte es schnell minus 20 Grad. Und das bereits am frühen Abend. Es war gerade mal 17 Uhr. Heut Nacht sollte es noch deutlich kälter werden…

    Während Chris und ich den tiefen Schnee in unserem Lagerplatz halbwegs platt wie auch tragfähig trampelten und im Anschluss die Zelte aufbauten, errichtete Alexej neben dem markanten Felsen mit Aussicht auf den Flusslauf hinunter die großartigste Kochstelle der Tour! Vollkommen windgeschützt an einer Schneewand mit eingepassten Flächen für Kocher, Brenner und Benzinflaschen! Das sollte es uns deutlich leichter machen mit den Kochern umzugehen. Vor allem weil einer von beiden weiterhin zickte und mehr schlecht als recht funktionierte.

    Es gab Dosenfleisch mit Couscous an einer Pfifferlingrahmsuppe. Das mag zuhause einfach gekocht sein, aber in dieser eisigen Wildnis kämpften wir selbst damit. Es geriet bereits zur Herausforderung, das tiefgefrorene Dosenfleisch überhaupt aus den beiden Dosen zu bekommen. Mühsam erwärmten wir die Dosen ehe wir das Fleisch anbraten konnten. Doch selbst das war beschwerlich.

    Die Fingerhandschuhe, mit denen sich kochen ließ, genügten bei der Kälte nicht mehr. Immer wieder hatten wir zwischen Fäustlingen und Fingerhandschuhen zu wechseln. Daneben bildete sich auf dem zangenartigen Topfgriff – ein metallener Universalgriff, den wir für alle mitgeführten Töpfe und Pfannen benutzen konnten – fortlaufend eine leichte Eisschicht. Diese sorgte dafür, dass der zangenartige Griff bombenfest in sich selbst festfror. Zumindest soweit er sich nicht am wärmeabstrahlenden Topf befand. Selbst mit Kraft ließ er sich nicht mehr auseinanderlösen. So mussten wir auch den Griff mühselig vor Benutzung über dem immer wieder ausfallenden Brenner erwärmen. Was für ein Akt!

    Als das Essen deutlich nach Sonnenuntergang fertig war, saßen wir erneut im Vorzelt unseres großen Expeditionszeltes mit den Beinen im Kältegraben. Es war der erste Abend, an dem wir das Vorzelt schließen mussten. Von draußen strömte fortlaufend klirrende Kälte hinein und ein frostiger Wind zehrte an unseren Gesichtern. Wir froren. Die Temperatur des zunächst noch warmen Essens veränderte sich rapide von warm zu lauwarm, dann zu kalt bis die letzten Essenreste auf dem Teller zu gefrieren begannen. Es war extrem hier draußen. Trotz des guten Wetters, welches wir hatten, war es das. Und ich war sicher nicht der einzige im Team, der sich an diesem Abend fragte, wie wohl die kommende Nacht werden würde…

    Mein rechter Fuß pochte an Hacken und Zehen während ich mit den anderen am Kältegraben saß. Doch ich wagte noch nicht die Socken auszuziehen und dem auf den Grund zu gehen. Noch nicht… Es war schon noch auszuhalten.

    An diesem Abend waren wir alle platt, dennoch hofften wir noch auf Polarlichter. Die jedoch nicht kamen. Die Dämmerung war längst vorüber und am Himmel nichts zu sehen. Wir waren drauf und dran ins Zelt und in die Schlafsäcke zu gehen als sie dann plötzlich begann: die nächste Lightshow am Abendhimmel! Chris war es, der zuerst einen leichten Schleier über einer hügeligen Anhöhe nördlich von uns entdeckte. Dann auf einmal ging es ganz schnell. Das Nordlicht trat in grüner und roter Farbe und in nahezu allen Formen auf. In langgezogenen Strahlen, nebligem Schleier, wie starker Regen in der Ferne. Mal beinahe ganz ohne Bewegung, nur um sich dann an anderer Stelle wieder tanzend und in sich selbst verdrehend über den dunklen Nachthimmel zu schlängeln.

    Wie die Nacht zuvor waren wir unglaublich fasziniert! Und trotz der Eiseskälte und der taubgefrorenen Finger blieben wir erneut lange draußen und bestaunten die Magie der Natur, die sich uns hier ein weiteres Mal bot…

    Tag 5 – Den Ráhpajáká hinunter bis zur Biellopriehppe (21 km)

    Der nächste Morgen kam wie die Nacht zuvor bitterkalt daher. Die frostige Luft floss gefühlt nur so von den Hängen zu uns herunter. Das merkte man selbst im Schlafsack noch. Obwohl die Luft sich im Zelt nicht bewegte, fühlte es sich so an, als huschte die Eiseskälte über jeden Quadratzentimeter meines Gesichts. Zumindest über jeden, der nicht tief in den Daunen des Grüezi Bag vergraben war.

    Das Aufstehen in der Kälte fiel nie wirklich leicht. Alleine den Reißverschluss des Schlafsackes ein Stück weit zu öffnen kostete bereits Überwindung. Kein Wunder, strömte doch die Wärme, die sich darin angestaut hatte, innerhalb kürzester Zeit aus dem Schlafsack und wich der Eiseskälte, die zuvor nur an eben diesen wenigen Quadratzentimetern des Gesichts zu spüren war.

    Bei Chris und mir hatte es sich eingependelt, dass wir nie zeitgleich aufstanden. Dafür bot das Zelt nicht genügend Platz. Nach dem Öffnen des Reißverschlusses zog man sich Lage für Lage an Kleidung über, um sich schlussendlich dann mit den kalten Füßen in die Daunenschuhe zu begeben und in den Kältegraben im Vorzelt zu steigen. Das Ganze meist in ziemlicher Eile, da man schlichtweg schnell aus dem Zelt heraus und in Bewegung kommen wollte, damit der Körper sich draußen wieder aufwärmen konnte.

    An diesem Morgen war ich es, der zuerst aufstehen „durfte“. Draußen vor dem Zelt fing ich – meine tauben Hände in den Achseln versteckt – in meinen Daunenschuhen direkt das Tanzen auf der Stelle an. Erst dann begab ich mich in Richtung Kochstelle um die Schneeschmelze anzuwerfen.

    Mäßig erfolgreich versuchte ich die Kocher in Betrieb zu nehmen, von den natürlich wieder einer streikte. Als Alexej und Chris ebenfalls aufgestanden waren, versuchten wir zu dritt, den Kocher halbwegs zum Laufen zu kriegen. So recht gelingen wollte es jedoch keinem von uns. Letztlich entschieden wir uns dazu, an diesem Morgen unsere drei vorhandenen Isokannen nicht komplett zu füllen. Im Endeffekt füllten wir sogar nur zwei, denn die Eiseskälte führte zu ersten Materialverlusten. Die Kanne von Alexej war am Verschluss komplett zugefroren und bei meinem Versuch, den Verschluss zu lösen, brach dieser doch tatsächlich. Die zweite Hälfte der Tour würden wir also mit nur noch zwei Isokannen auskommen müssen.

    Der Kreativität sind ja aber keine Grenzen gesetzt: das Wetter war wieder großartig und versprach einen weiteren sonnigen Tag. Insofern versuchte ich die reflektierende Seite meiner Thermo-Schaumstoff-Isomatte in einer Art Trichter auf der Pulka zu befestigen. Dort hinein legte ich meine halbvoll mit Schnee gefüllte Weithalsflasche. Ich hoffte darauf, dass durch die von den Seiten reflektierende Wärme der Sonne möglicherweise ein wenig des Schnees zu Wasser schmelzen würde. Natürlich geriet das zu einem Reinfall, immerhin hatten wir selbst tagsüber an die minus 15 Grad und dann sollten wir den größten Teil des heutigen Tages auch noch im eisigen Schatten der Berge laufen. Experiment gescheitert…

    Vorm Loslaufen legten wir die LVS-Geräte an. Dem Studium der Karte nach würden wir heute durch das am ehesten lawinengefährdete Gebiet laufen. Wir brachen daher auch zeitig auf. Wir wollten zusehen, dass wir die Engstellen im Tal und die steilen Hänge, die wir auf den nächsten 20 Kilometern passieren würden, noch heute hinter uns lassen. Zwar war die Lawinengefahr mangels geringer Schneelage, wenig Neuschnee und meist schwachem Wind in den vergangenen Tagen als gering einzuschätzen, aber wir wussten nicht, ob das Wetter auch weiterhin so gut sein würde. Sollte es umschlagen wäre der kommende Abschnitt sicher nicht unsere erste Wahl, um dort eingeschneit zu werden.

    Wir gelangten schnell wieder hinunter zum zugefrorenen Flusslauf und folgten diesem in südlicher Richtung auf den Spuren einer älteren Expedition. Die Spuren waren zunächst kaum merklich sichtbar, wurden dann jedoch eindeutiger. Bald verließen wir den Fluss und liefen an dessen westlicher Seite weiter gen Süden. Derweil ragte auf der anderen Flussseite die von dunklem Fels, Schnee und Eis gezeichnete Flanke eines Berges wie eine bedrohliche Wand über uns auf.

    Die Spuren, denen wir folgten, wurden immer besser sichtbar. Wir folgten ihr durch tieferen Schnee in lichtem Birkenwald. Immer wieder passierten wir Bereiche, in denen die knorrigen Birken, in einer Höhe von vielleicht anderthalb Metern beinahe „abgesäbelt“ schienen. Ich war zwar nicht sicher, vermutete aber, dass dies die Folge von früheren Lawinenabgängen gewesen sein muss.

    Nach den erst fünf Kilometern des Tages – wir befanden uns nun deutlich erhöht zum Fluss – endete die zuvor eindeutig sichtbare Spur mitten im Nirgendwo. Völlig merkwürdig und wir vermochten uns nicht den geringsten Reim darauf zu machen. Die Spuren, denen wir gefolgt waren, waren die letzten zwei Kilometer völlig eindeutig zu sehen gewesen. Die Skitellerabdrücke neben der Spur hatten uns sogar verraten, dass die tiefe gleichbleibende Schneise im ansonsten unberührten Schnee, der wir wie in einer Langlaufloipe gefolgt waren, von mehreren Skiläufern stammen musste. Und nun, obwohl sich der Schneedeckenaufbau nicht mal im Ansatz geändert hatte, hatten die Spuren abrupt geendet.

    Von nun an suchten wir uns unseren Weg durchs Gelände selbst. Da der Schnee hier oberhalb des Flusses weicher war als unten am Flusslauf, bedeutete dies, dass wir spuren mussten. Nun ohne jedwede Spur kamen wir deutlich langsamer voran. Dennoch erreichten wir noch vor dem Mittag den sogenannten Räuberplatz bzw. Rovdjurstorget. Dabei handelt es sich um einen der wenigen Orte von Skandinavien, an denen mit dem Luchs, Wolf, Braunbär und Vielfraß noch die „de fyra stora“ (die großen Vier) anzutreffen sind.

    Nach der einzigen Pause des Tages liefen wir weiter. Die Sonne war über den neben uns aufragenden Gipfel des Laddebákte gestiegen, so dass wir von ihren Strahlen gewärmt weiterliefen. Von hier an fanden wir immer wieder alte, teils jedoch stark verwehte Spuren, die uns das Vorwärtskommen vereinfachten. Dann liefen wir wieder kilometerweit ohne jedwede Spur durch tiefen Schnee.

    Wir hatten wieder eine östliche Richtung eingeschlagen und folgten weiter dem Flusslauf der Ráhpajáká in Richtung Rapadalen. Das majestätische Dreigipfelmassiv Bielloriehppe erhob sich südlich von uns. Seine steilen Wände schirmten die niedrigstehende Sonne erneut ab und ließ uns in den Schatten eintauchen. Es war so viel kälter im Schatten. Trotz des Laufens, trotz der Bewegung und des Ziehens der Pulka, trotz des tiefen Schnees, in dem wir anstrengend zu spuren hatten, wovon Alexej einen großen Teil übernahm.

    Während wir liefen, malten wir uns aus, was wir uns als 4-Gänge-Abendmenü wünschten, soweit wir einen solchen Wunsch frei hätten. Eigenartigerweise kamen darin weder tiefgefrorene Wraps noch Couscous mit Dosenfleisch vor…

    Der Tag war lang. Wir hatten nur eine Pause gemacht. Wir waren 21 Kilometer gelaufen und hatten davon einiges zu spuren gehabt. Entsprechend froh waren wir, als wir uns am Abend unser Lager am zugefroren Ufer des Ráhpajáká, der nun auch Ráhpaädno genannt wurde, am westlichen Ende des beeindruckenden Bielloriehppe-Massivs zwischen einigen Birken aufschlugen. Und was hatten wir für ein Glück! Als wir gestoppt hatten, um nach dem besten Platz zum Aufstellen der Zelte zu schauen, hörte Chris tatsächlich das Gluckern von Wasser. Mitten im tiefen Schnee befand sich doch tatsächlich am Rande des Flusses ein Wasserloch. Gerade breit genug, um unsere Flaschen hineinzulassen und mit fließendem Wasser aufzufüllen. Welch ein Glück! Wir hatten kaum noch einen Tropfen Wasser gehabt und es hatte und schon davor gegraust, nun stundenlang Schnee schmelzen zu müssen. Das konnten wir uns nun sparen!

    Nicht sparen konnten wir uns dahingegen, unseren Lagerplatz vom tiefen Schnee zu befreien. Als wir die Ski abschnallten, sackten wir bestimmt einen halben Meter im weichen Schnee ein. Darauf konnten wir kaum unsere Zelte aufstellen. Und so schaufelten Chris und ich, während Alexej sich um die Kochstelle kümmerte, einige Kubikmeter Schnee. Erst nach einer dreiviertel Stunde hatten wir auf einer ausreichend großen Fläche letztlich eine halbwegs tragfähige Schneeschicht hergestellt.

    Es war kalt. Der kälteste Abend bisher. Als ich das Thermometer spät an diesem Abend nach Sonnenuntergang aus meinen Rucksack zog und an meinen Skistock hängte, zeigte es bereits minus 23 Grad an. Das war eindeutig die Rekord-Rucksack-Temperatur. Ich war platt und Alexej und Chris ging es ebenso. Im Dunkeln aßen wir Couscous mit Champignonsuppe ohne Thunfisch. Der war schlichtweg zu gefroren und es erschien uns nach den Erfahrungen mit dem Dosenfleisch am Vorabend viel zu mühsam, ihn aus den Dosen herauszubekommen.

    Bereits um halb neun Uhr abends zogen wir uns in die Schlafsäcke zurückzog. Zuvor verwendeten wir die gefühlten letzten Kraftreserven dazu, mit tauben Fingern unseren Standort nach Hause zu senden und in wenigen Zeichen von dem Polarlichtspektakel in der vorherigen Nacht zu erzählen. In dieser Nacht sollte uns ein solches nicht vergönnt sein. Einige Wolken waren in der Ferne aufgezogen und kündeten womöglich von einem Wetterumschwung.

    Im Schlafsack liegend gönnte ich mir noch meine abendliche Tüte Haribos: Pasta Frutta! Wer sie nicht kennt: das sind saure Fruchtgummiplättchen in verschiedenen Farben und Geschmacksrichtungen. Und ehrlich, wenn die Dinger im Mund beim Draufbeißen wie ein Kartoffelchip zerbröseln, ist es eindeutig sehr kalt! Zwar noch nicht so kalt, dass ich darauf verzichten könnte, aber es ist elendig kalt 😉

    Tag 6 – Durchs Rapadalen über die Grenze des Nationalparks (21 km)

    Boah, was für eine unruhige Nacht! Es war brutal kalt. Alexej hatte am Vorabend noch überlegt, ob er mit zu Chris und mir ins Zelt kommt. Im Endeffekt sind wir dann aber doch in der gewohnten Konstellation geblieben. Ich hoffte an diesem Morgen, dass Alexej das nicht bereut hatte. Ich selbst hatte eine völlig unruhige und schlaflose Nacht hinter mir. Die Erschöpfung vom Vortag hatte neben der Kälte ihren Tribut gefordert.

    In unserem Zeltinnern hatten sich durch unseren kondensierenden Atem wieder hunderte von Eis- und Schneekristallen gebildet, die in einem unsteten Strom von der Zeltinnenwand und -decke auf uns herabgerieselt waren. Auch in der Nacht… und natürlich auch mitten ins Gesicht. Das trug nicht gerade dazu dabei, dass ich besser schlief und Chris erging es neben mir vermutlich ähnlich.

    Diejenigen Schnee- und Eiskristalle, die nicht direkt auf uns herabgefallen waren, hatten regelrecht zusammenhängende Strukturen gebildet. Einige davon bis zu 5 cm lang. Naja, da das ganze Zeugs spätestens auf uns herunterfallen würde, wenn der erste aus dem Schlafsack kroch und in einer unbeholfen wirkenden Klamotten-Anzieh-Aktion gegen eine der Zeltwände kam, konnten Chris und ich dem auch zuvorzukommen. Mit der flachen Hand schlugen wir an die Zeltinnenwände, so dass die gesammelte Macht an Eis- und Schneekristallen auf uns herunterkam. So hatten wir immerhin noch etwas Spaß dabei, zu sehen, wie der andere eingerieselt wurde.

    Es war eisig an diesem Morgen: frostige minus 22 Grad. Und das um 8.30 Uhr. Auf dem am Vorabend noch offenen Wasserloch befand sich ein brettharter Eispanzer, dem Chris und ich mühsam mit der Lawinenschaufel beizukommen versuchten. Alexej kümmerte sich derweil wieder um die Kochstelle und versuchte unsere Brenner zum Laufen zu bekommen.

    Das Aufschlagen des Eises war kein leichtes Unterfangen, doch nach langen Minuten des Einprügelns und Stechens auf den Eispanzer erfolgte der Durchbruch! Wir hatten wieder frisches, wenn auch eiskaltes Wasser für das Frühstück zusammen. Zunächst war es nur ein winziges Loch gewesen. Nach und nach vergrößerten wir es in meist unpräzisen Schlägen auf die gefrorene Oberfläche bis eine Trinkflasche hindurchpasste.

    Das Frühstück bestand aus Couscous mit Champignons und Müsli. Irgendwie wollte (oder konnte) ich mich einfach nicht an diese breiige Nahrung gewöhnen. Doch es half nichts, wir alle brauchten Energie. Auch wenn ich die Konsistenz des Frühstücks über hatte: runter damit!

    Der Tag selbst kam trotz der klirrenden Kälte erneut schön daher. Die Schleierwolken waren wieder verzogen und erneut leuchtete ein strahlendblauer Himmel über uns während die Sonne höher stieg. Wind war Fehlanzeige, nur die Kälte zog wieder durch Mark und Bein. Wir führten den üblichen Tanz ums Zelt herum auf, während wir das Lager abbauten.

    Es war gar nicht mal so, dass die Wärme aus dem Körper herausströmte. Es war eher die Kälte, die sich regelrecht hineinfraß und die Wärme verdrängte. Jetzt kommt sicher wieder jemand, der sagt, es sei eine andere Kälte in der Arktis. Also nach meinen oder unseren Erfahrungen ist das Blödsinn. Es ist einfach sau- (oder meinetwegen auch arschkalt) hier oben 😉 Und in dem Tal, in dem wir uns gerade befanden, galt das schlichtweg ganz besonders, weil es tags wie nachts fast die ganze Zeit im Schatten lag. Die Flanken der Berge ragten hier so steil hinaus, dass die Sonne nicht darüber hinweg zu schienen vermag.

    In all dieser Kälte war auch heute alles anspruchsvoller: das Kochen, der Lagerauf- und -abbau, das Essen und Trinken, das Laufen auf den Ski, ja selbst das Schlafen und das Ausruhen. Alles war so viel extremer in diesen Bedingungen und ich sehnte mich an diesem Morgen sehr nach einer Hütte, einer Sauna oder einem wärmenden Kaminfeuer. Und ganz besonders nach einem guten Essen und weniger Brei. Doch ich wusste auch, dass wir wenigstens noch eine weitere Nacht draußen verbringen müssten. Wir alle wussten das.

    Der Aufbruch erfolgte wieder vermeintlich spät. Erst um 11 Uhr hatten wir die beiden uns noch verbliebenen Teekannen mit kochend heißem gesüßtem Schwarztee gefüllt. Doch Zeit war während unserer Tour ohnehin relativ und mittlerweile hatten wir uns dran gewöhnt, dass wir nicht früher starteten. Der ganze Auf- und Abbau des Lagers benötigte eben seine Zeit.

    Begleitet vom schleifenden Geräusch unserer Ski und der Materialschlitten auf dem hartgefrorenen Schnee, liefen wir weiter ostwärts. Nach und nach verengte sich der anfangs noch breite zugefrorene Flusslauf. Wir folgten seinen Windungen an seiner Seite immer wieder durch knorriges Birkendickicht. Endlich verließen wir dabei auch den Schatten, den die hohen Berge warfen, und traten ins wärmende Licht der Sonne hinein.

    Was für eine Wohltat! Auch wenn die Sonne die Lufttemperatur nicht zu ändern vermochte, so spendete sie dennoch eine Wärme, die gefühlt den gesamten Körper erfasste. Nach der kalten Nacht und dem kalten Morgen legten wir nun, gewärmt von der Anstrengung durch das Laufen als auch durch die Strahlen der Sonne, eine Lage Klamotten nach der anderen ab. Es wurde wärmer und wärmer und irgendwie wurden wir den Eindruck nicht los, dass uns nach der kältesten Nacht der Tour nun womöglich auch der wärmste Tag bevorstand. Und so lagen Freud und Leid für uns ziemlich nah beieinander in den Bergen des Sarek. 

    Der Flusslauf verengte sich weiter. Und immer wieder wies der bis dahin dichte Eispanzer, der den Blick auf das darunter strömende Wasser verwehrt hatte, nun Lücken auf. Zwischen aufeinander geschobenen Eisschollen und -strukturen strömte es wild dahin.

    Schon am Vorabend hatten wir darüber diskutiert, ob wir dem Fluss weiter ins Rapadalen folgen und den eigentlich geplanten Bogen über Süden zum Kungsleden streichen sollten. Nun näherte sich langsam die Entscheidung. Nachdem wir einige hohe Felsen passiert hatten, zwischen denen das Wasser im Sommer tosend durchrauschen musste, die nun jedoch in aller Stille ein großartiges Echo boten, machten wir Pause. Wir diskutierten, ob wir gen Osten weiterlaufen und so 25 Kilometer wie auch einen Tag einsparen oder den Weg bergan Richtung Süden einschlagen sollten.

    Nach Süden befand sich hoher Tiefschnee. Es würde noch mal deutlich anstrengender werden sich da hinauf zu kämpfen. Dennoch wollten wir den ursprünglich geplanten Weg nehmen und folgten zunächst einer alten Spur bergan. Alsbald verlor sich diese jedoch im Niemandsland. Das Spuren im Schnee wurde zäh und kraftraubend und das Bewusstsein wuchs, dass wir sicher noch zwei weitere Nächte draußen verbringen würden, sollten wir diesen Weg weiter beschreiten. Wir machten kehrt und entschieden zum Fluss zurückzugehen. Wir würden der Rapa weiter nach Osten folgen.

    Die kurze Pause vor der Umkehr hatte mir ordentlich Kraft gegeben. Im gefühlten Vollspurt lief ich gut vier Kilometer voran und ließ Alexej und Chris ein Stück hinter mir. Die dünne Vegetation aus knorrigen Birken und Sträuchern nahm derweil zu. Aus den zunächst wenigen Birkenhainen und losen Ansammlungen an Bäumen wurden nun größere, schwieriger durchdringliche Wälder, in denen uns zuweilen dünne Äste der kargen Birken ins Gesicht peitschten.

    Dann kam er in Sicht: der Skierfe! Ein markanter Berg mit einer steil abfallenden senkrechten Felswand am nördlichen Ende des Rapadalen. Und davor der Nammasj. Der heilige Berg der Samen, der in etwa auch die Grenze des Nationalparks markiert. In wenigen Stunden würden wir sie überschreiten.

    Derweil stanken wir alle nach nun sechs Tagen draußen mittlerweile vermutlich wie ein Elch vor uns hin. Zumindest fühlte es sich so an. Wir alle brauchten ziemlich sicher eine Dusche. Und Seife. Das erhoffte Bad sollten wir in der Fjällstuga Aktse, die wie am morgigen Tag erreichen würden, womöglich noch nicht bekommen, doch zumindest eine Sauna sollte es geben. Und die müsste genügen. Wir würden den ganzen Gestank einfach ausschwitzen und mit Schnee runterwaschen. Die Sehnsucht nach Sauberkeit war jedenfalls groß dieser Tage 😉

    An unserem Endpunkt Saltoluokta würden wir nach meinen Berechnungen voraussichtlich in drei Tagen ankommen. Gefühlt würde das symbolische Ende unserer Tour jedoch eher erfolgen, denn nach den Strapazen, Mühen und Anstrengungen der vergangenen Tage erachteten wir das Heraustreten aus dem Nationalpark schon irgendwie als erfolgreiche Bewältigung der Tour. Freilich würde der Weg nach Saltoluokta auf dem Kungsleden auch noch mal einige Kräfte erfordern, aber den Nationalpark Sarek – unser großes Ziel – hätten wir dann gequert.

    Gegen späten Nachmittag passierten wir dann auch den Tafelberg Nammasj. Über eine weite zugefrorene Ebene – der Fluss hatte sich hier wieder aufgefächert – liefen wir auf den Berg zu, um ihn auf seiner Südflanke zu passieren. Der hohen Wand gegenüber auf der anderen Talseite eine weitere Anhöhe. Ich fühlte mich unweigerlich an den Film „Die unendliche Geschichte“ erinnert. An den Moment, wenn Atreju versucht zum südlichen Orakel zu gelangen und zwischen zwei steil aufregenden Sphinxen hindurchschreiten muss. Normalerweise haben die Sphinxen ihre Augen friedlich geschlossen. Wenn jedoch ein Unwürdiger in ihr Blickfeld gerät, öffnen sie diese und töten den Abenteurer mit todbringenden Lichtstrahlen, die sie aus ihren Augen aussenden.

    Na gut, merkwürdiger Vergleich vielleicht, aber so fühlte es sich eben an. Das Wichtigste: wir kamen natürlich alle durch die Gefahrenstelle durch. Es hatte keine Augen im Berg, die todbringende Strahlen aus Licht aussandten.

    Dann war es schon soweit! Wir erreichten die Grenze des Sarek, markiert durch ein Schild und die ersten Motorschlittenspuren im Schnee seit wir die Grenze am zweiten Tag unserer Tour, rund 100 Kilometer Luftlinie nordwesentlich von hier, überquert hatten. Die Freude war groß! Auch darüber, den Sarek innerhalb so weniger Tage gequert zu haben! 

    Von hier an mäanderte der zugefrorene Fluss in breiten Bahnen und einem tiefen Bett. Dazwischen immer wieder kleine, von schmalen Birken bedeckte Inseln. Nicht wissend, welchem Lauf wir folgen sollten, entschieden wir uns recht gedankenlos für denjenigen, auf dem die Motorschlittenspuren am tiefsten waren und in recht gerade Linie weiter gen Osten verliefen.

    Wir folgten dem Fluss für eine weitere gute Stunde ehe wir unterhalb der steilen Südwand des Skierfe unser Lager aufbauten. Etwas, das noch mal zu einem wahren Kraftakt geraten sollte. Just als wir von den Ski stiegen, sackten wir im pulvrigen Schnee einen guten dreiviertel Meter ein. Unter der dünnen hartgefrorenen obersten Schneeschicht, auf der wir mit den Ski liefen, befand sich reinster Pulver- und Triebschnee, der sich kaum verdichtete. Und im gesamten Umkreis schien es keinen besseren Platz zu haben.

    Naja, der saure Apfel wollte eben gegessen werden… und wir aßen ihn. Mühsam schaufelten wir den Schnee wie am Vorabend großflächig und tief beiseite, um irgendwie die Zelte nebst einer Kochstelle aufbauen zu können. 

    Die Reserven waren aufgebraucht. Bei uns allen. Und so dauerte es nicht lange, nachdem wir uns eingerichtet und eine Portion Tomate-Mozzarella-Fertignudeln gegessen hatten, bis wir uns erschöpft in die Schlafsäcke zurückzogen. Voller Vorfreude auf die Hütte, die wir am nächsten Tag erreichen würden.

    Rucksacktemperatur an diesem Abend: minus 19 Grad.

    Tag 7 – Auf der zugefrorenen Rapa bis Aktse (8 km)

    Die Nacht war erneut frostig, aber der Gedanke an die Hütte wärmte bereits beim Aufstehen. Uns stand ein kurzer Tag bevor. Bis zur Fjällstuga Aktse, der ersehnten Berghütte unweit vom Ufer des Sees Lájtávrre sollten es keine 10 Kilometer mehr sein. Davon ausgehend, dass wir ohne jegliche Höhenmeter weiter auf dem zugefrorenen Fluss und später dem vereisten See laufen würden, sollten wir nicht länger wie zwei bis zweieinhalb Stunden unterwegs sein.

    Dass wir uns alle nach der Wärme und dem Komfort sehnten, den die Hütte versprach, merkten wir bereits beim Frühstück. Es fiel ungewohnt spartanisch aus und enthielt sehr zu meiner Freude auch mal keinen Brei. 3 Müsliriegel nebst einem weiteren tiefgefrorenem Wrap zum Lutschen und schon brachen wir auf. Da die aufwendige Schneeschmelze fürs Frühstück entfiel und wir nur unsere Thermoskannen zu füllen hatten, brachen wir auch deutlich früher auf als in den vorangegangenen Tagen.

    Das Wetter zeigte sich unverändert zu den vorangegangenen Tagen. Das beständige Hoch, welches uns durch den Sarek gebracht hatte, bestand fort. Wir blickten in einen unverändert blauen Himmel, während wir darunter in den Schneemobilspuren, denen wir tags zuvor bereits gefolgt waren, weiter Richtung Osten liefen.

    Abgesehen von der beeindruckenden Felswand des Skierfe kam die Landschaft kam hier zeitweise eintönig daher. Der Fluss war breit und seine Ufer fortlaufend von den knorrigen Birkenwäldern gesäumt. Nördlich von uns die breite hohe Südwand des Skierfe und wir liefen Zug um Zug auf unseren Backcountry-Ski in einer nicht enden wollenden geradlinigen Spur. Zwar liefen wir hier nicht auf einer Straße, doch stellte sich ein solches Gefühl bei mir ein. Der breite Fluss vermittelte mir den Eindruck, mich auf einer solchen zu bewegen. Auch wenn er mit seiner gefrorenen Oberfläche freilich eher weiß denn asphaltgrau daherkam und es – abgesehen von uns dreien – niemanden sonst hier hatte.

    Dachten wir zumindest! Denn ein weiterer Backcountry-Skiläufer mit Pulka im Schlepptau kam uns entgegen. Er hatte sich noch am Morgen in Aktse befunden und lief nun für einen Tag und eine Nacht in den Sarek hinein. Er gratulierte uns recht herzlich, denn die Sarekquerung war in den vergangenen Jahren offenbar nur wenigen geglückt. Da das beständige Hoch sein Ende finden sollte und ein Wetterumschwung angesagt war, wollte er sie jedoch nicht wagen. Die Vorhersage sagte letztlich nur noch für den morgigen Tag gutes Wetter voraus. Im Anschluss sollte ein Wintersturm heraufziehen. Was hatten wir doch für ein Glück gehabt!

    Über den vereisten Lájtávrre liefen wir weiter bis wir auf einen markierten Weg trafen: der Kungsleden! Der Königspfad, dem wir von nun an weitere 40 Kilometer gen Norden bis zum Endpunkt unserer Tour in Saltoluokta laufen würden. Doch zuvor ab in die gemütliche Fjällstuga. Vom Ufer des Lájtávrre war es nicht mehr weit. Vielleicht noch ein Kilometer, die es bergan durch den Wald ging.

    Die Fjällstuga Aktse bestand zu unserem Verwundern gar nicht aus einer einzelnen Hütte. Vielmehr war es ein kleines Hüttendorf mit einer Hütte für die Hüttenwirtin, einigen Unterkunftshütten und einer Saunahütte.

    Innendrin erfüllte sie schon mal alles, was wir uns erhofft hatten und noch mehr. Wärme, komfortable Betten, ein gemütliches Inneres mit Stühlen und Tischen, eine entspannte Möglichkeit zum Kochen! Wahnsinn! Wir fielen uns in die Arme! Wir hatten den Sarek gequert, waren wieder in einer Hütte und noch dazu einer urgemütlichen angekommen!

    Nachdem alle Sachen verstaut und das Bett gemacht waren zog ich nach all den Tagen der Plackerei und des Laufens das erste Mal meine Socken aus. Ich hatte zuletzt ja schon durch das elendige Pochen am Hacken und in den Füßen gemerkt, dass irgendwas nicht in Ordnung sein dürfte. Nach den Erfahrungen der Hardangervidda im vergangenen Jahr hatte ich auch eine gute Vorstellung davon, wo das Problem liegen dürfte. Als ich die beiden Merinosocken, die ich über dem rechten Fuß trug, hinunterstreifte, bestätigte sich meine Befürchtung. Mein rechter Hacken war großflächig wund und ein Gemisch aus Blut, Wundflüssigkeit und aufgequollener loser Haut blickte mir entgegen. Wie in der Hardangervidda. Nur um einiges größer. Mit nur einem der großen XXL-Blasenpflaster würde das kaum getan sein, um die nächsten Tage weiterlaufen zu können…

    Manchmal liegt das Schlimme ja darin, dass man sich einfach der Umstände bewusst wird. Und so fühlte ich mich gerade. Als die Socken den Anblick meines Hackens noch verdeckt hatten, war es nur ein dumpfer pochender Schmerz. Nun lag die Wunde frei und fing deutlich mehr an zu schmerzen. Half aber nichts. Ich musste die Wunde erst mal säubern, von den Hautfetzen befreien, auswaschen, desinfizieren und verbinden. So weit die Absicht. Nur war mein Wundspray vollkommen gefroren und ein einziger Eisblock in einer Plastiksprühflasche.

    Die Alternative: Klosterfrau Melissengeist! Chris hatte damit wie im letzten Jahr vorgesorgt. Aber das wollte ich mir beileibe nicht antun. Ich würde in der Hütte abgehen wie ein Zäpfchen. Das sparte ich mir also und sah lieber zu, dass ich mein Wundspray am Körper zum Auftauen bekam. Derweil säuberte ich die Wunde schon mal großflächig, legte mir genügend Blasenpflaster nebst Verbandsmaterial zurecht und freute mich über den linken Hacken. Der sah zwar ähnlich aus, die Wunde war glücklicherweise jedoch nicht so großflächig wie rechts.

    Alexej und Chris machten derweil wahr, wovon wir die letzten Tage immer wieder gesprochen hatten. Sie begannen die tiefgefrorenen Wraps mit Butter in einer Pfanne zu braten! Oh mein Gott, allein der Duft, der davon ausströmte. Und der Gedanke daran, eine warme und eben nicht breiige Mahlzeit als spätes Frühstück zu bekommen. Der wenige Komfort der Hütte kam für uns dem reinsten Paradies gleich und jeder von uns verschlang direkt hintereinander drei von den Wraps, von denen wir drei Dutzend mit auf die Tour genommen hatten.

    Am Abend ab in die Sauna! Meine Wunden hatte ich zuvor desinfiziert und links mit zwei großen Blasenpflastern, rechts mit ganzen vier großen Blasenpflastern abgeklebt. Die Hacken schmerzten und pochten, doch solange ich nicht in die Schuhe hineinmusste, war die Welt vollkommen heile. In der Hütte und draußen im Schnee um die Hütte herum trug ich allein die bequemen Daunenschuhe.

    Die über einen Holzofen betriebene Sauna wurde all unseren Wünschen gerecht! In einem kleinen Vorraum hatten wir zunächst die Gelegenheit uns zu waschen. Freilich gab es weder fließendes noch warmes Wasser. Doch selbst das eiskalte Wasser aus dem Wasserloch eines kleinen Flusses, welches Alexej mit einem großen Kanister Richtung Sauna gebracht und in große Eimer umgefüllt hatte, war uns willkommen. Sich damit zu waschen, hatte zwar ein wenig was von der Eisbucket-Challenge, trug aber dazu bei, dass wir den Elchgestank, den wir mit uns führten, herunterwaschen konnten ehe es in die wohlige Wärme der Sauna ging. Aus jeder Ritze und Spalte der hölzernen Hütte dampfte es während wir im Inneren die Wärme genossen – unterbrochen alleine von einem Sprung in den Tiefschnee zwischen den Saunagängen und einer Schneeballschlacht unter nackten Männern.

    Meine Blasenpflaster hatten sich in der Sauna natürlich nach und nach gelöst. Doch ich hatte knapp zwei Dutzend davon dabei . So sollte ich zumindest keine weiteren Probleme durch einen Mangel an Blasenpflastern bekommen.

    Nach der Sauna gingen wir zum Abendessen über während draußen eine Rentierfamilie um die Hütte schlich. Wir brieten Unmengen an Köttbullar, die wir mit Kartoffeln an einer Pfifferlingsauce im Kerzenlicht verputzten. Zum Abschluss das großartige Highlight von Alexej, sein Team-Surprise: Schokoladenpudding, garniert mit zerbröselten Waffelkeksen! Ein echtes Festmahl, das unseren Kalorienhaushalt wieder ein Stück weit auffüllte!

    Völlig zufrieden sackten wir schließlich am Abend ins Bett! Einzig das Pochen in meinen Hacken nervte, dennoch ließen mich eine Mischung aus Ibuprofen und Erschöpfung schnell einschlafen.

    Tag 8 – Auf dem Kungsleden bis Sitojaure (14 km)

    Was für eine Nacht in der Hütte. Wie Alexej und Chris hatte ich tief und fest geschlafen. Das war nicht mal annähernd ein Vergleich zu dem ständigen Aufwachen in der Eiseskälte des Sarek.

    Wir frühstückten erneut jeder drei Pfannenwraps, dazu aufgetauter Thunfisch und Oliven. Wir durften uns jetzt was gönnen und ließen uns bei alledem auch viel Zeit. Erst gegen 11 Uhr hatten wir alles verpackt und schnallten die Ski vor der Hütte an. Wir waren uns einig, dass wir nach nur bis zur nächsten Fjällstuga laufen würden. Wir hatten uns genug bewiesen und wollten die Tage nun angenehmer ausklingen lassen. Bis zur Fjällstuga Sitojaure sollten es 14 Kilometer sein. Dafür hatten wir rund 500 Höhenmeter im Aufstieg zu bewältigen, der direkt an der Hütte begann. Mit den Pulkas im Schlepptau sollte es zumindest kein Spaziergang werden.

    Die Sonne schien abermals während wir uns durch dichten Wald schlugen, um wieder auf den Kungsleden zu gelangen. Der Königspfad führte einige hundert Meter an der Hütte vorbei. Von da an ging es steil bergauf. Wir hatten nicht nur Mühe auf dem hart gefrorenen Boden mit den Pulkas bergan zu steigen, es war schlichtweg kaum möglich und artete zu einem regelrechten Kampf aus.

    Das Gewicht des Schlittens zog und zerrte an uns während wir uns mühsam Meter für Meter hinaufkämpften. Nachdem wir eine gute Viertelstunde gegen die sprichwörtlichen Windmühlen angekämpft hatten, gaben wir es auf. Wir schnallten die Ski ab, verzurrten diese auf der Pulka und zogen diese Schritt für Schritt den Berg hinauf.

    Das Ziehen der Pulka ohne Ski war ebenfalls mühsam und meine Füße schmerzten bei jedem Schritt. Hatte sich das Laufen auf den Ski noch einigermaßen erträglich für meine wunden Hacken angefühlt, war es trotz der polsternden Pflaster mit jedem Schritt bergan nun so als ob mir jemand eine brennende Nadel in den Hacken trieb. Ich hatte das Gefühl, dass ich mir jeden Meter in der Höhe und der Länge mit Schmerzen zu erkämpfen hatte und sehnte den Moment herbei, da wir auf dem Sattel stehen und wieder auf Ski laufen könnten würden. Ich versuchte den Schmerz zu vermeiden, rammte die Spitzen meiner Stiefel in den Schnee um auf den Zehenspitzen weiter hinaufzuklettern, doch es gelang nur teilweise. Der Schmerz und die Anstrengung standen doch in großem Kontrast zu dem friedlich verschneiten Wald, in dem wir aufstiegen.

    Knapp 500 Höhenmeter auf nicht mal zweieinhalb Kilometer Strecke. 20 % Steigung. Und das mit Rucksack und wuchtigem Materialschlitten. Ja, das war schon so, als ob man einen Satz Autoreifen hinter sich herzog und das Reserverad auf dem Rücken geschultert hatte.

    Nach und nach erreichten wir die Baumgrenze. Chris und ich im Wechsel vorneweg, Alexej ein Stück hinten dran. Eine Anhöhe nach der anderen tauchte auf und erinnerte uns an den letzten Tag unserer Winterquerung der Hardangervidda im vergangenen Jahr. Das war auch ein harter Kampf gewesen.

    Dann endlich erreichten wir die oberste Kuppe. Zweieinhalb Stunden für zweieinhalb Kilometer! Doch es hatte sich gelohnt. Uns bot sich eine fantastische Aussicht! Chris und ich sackten auf dem Schlitten darnieder, genossen die Aussicht und Stille hier oben und warteten auf Alexej. Und dann ein erster Handytest! Seit Tagen hatten wir das allererste Mal wieder Empfang und konnten nicht nur über das Notfall-GPS eine einzelne Textnachricht nach Hause schicken, sondern sogar Bilder, Videos und Anrufe tätigen! Entsprechend lang fiel die Pause aus.

    In der Höhe liefen wir im Anschluss auf dem gut markierten Kungsleden weiter ehe die ersten längeren Abfahrten anstanden. Irre, das machte Spaß! Und sorgte für den ein und anderen Sturz im Tiefschnee, aus dem ich mich sogar einmal in misslicher verklemmter Lage von Alexej befreien lassen musste!

    Waren wir bergan noch mit einem Kilometer pro Stunde unterwegs, gingen sich die weiteren Kilometer deutlich schneller an. Die Abfahrten erfolgten in höherem Tempo und wir waren auch auf den ebenen Teilstücken mittlerweile unheimlich eingespielt und im Flow.

    Die letzten vier Tageskilometer verliefen noch mal über ein See, den Gabbdajávvre bzw. Sitojaure. An dessen Nordufer lag die Fjällstuga Sitojaure, die etwas kleiner und weniger komfortabel als Aktse daherkam. Dennoch: wir waren dankbar, die Nacht nicht im Zelt verbringen zu müssen!

    Als bester Moment des Tages geriet für mich das Ausziehen der Backcountry-Skistiefel und das Schlüpfen in die bequemen Daunenschuhe! Na gut, das ist vielleicht nicht ganz ernst gemeint, aber es war in Anbetracht der geschundenen Füße definitiv eines meiner Highlights an diesem Tag!

    Ein weiteres Highlight war das Abendessen! Es gab Rentier satt mit Speck auf einem Nudelbett mit Preisselbeermarmelade. Alexej schien während alledem doch der glücklichste Mensch der Welt zu sein wie er das Glas Preisselbeermarmelade in der Hand nehmen und öffnen durfte. Chris und ich waren es vermutlich als es an den Nachtisch ging, der erneut aus Schokoladenpudding bestand. Verfeinert mit schwedischer Bläbarsoppa, der sog. Blaubeersuppe. Wir scherzten, schauten die vielen Bilder der vergangenen Tage durch und ja, langsam kam auch Wehmut auf, dass unsere Tour am morgigen Tag ein Ende finden würde. Und auch die Frage – zumindest bei Chris und mir – was wir als nächstes angehen würden…

    Spät am Abend zogen dichte Wolken auf. Der Wetterbericht sollte offenbar Recht behalten. Wir waren gespannt, ob uns am nächsten Tag tatsächlich auch die ersten Ausläufer des Wintersturms erreichen sollten. Es ist schon verrückt, welches Glück wir mit dem Wetter während der Tour hatten. Natürlich kann es nur denen hold sein, die auch andere Verhältnisse in Kauf nehmen, dennoch waren wir mehr als glücklich über diese guten Bedingungen.

    Wir blickten an diesem Abend viel zurück auf die vergangenen Tage. Von der körperlichen Anstrengung beim Skilauf war der Sarek nach Chris und meiner Einschätzung gar nicht schwieriger als die Hardangervidda gewesen, doch die eisige Kälte über eine Woche auszuhalten, war deutlich kräftezehrender. Darin lag die eigentliche Anstrengung und Herausforderung dieser Tour. Die Kälte kroch in jeden Winkel, sowohl Körpers als auch unseres Essens und jedes Ausrüstungsteils. Sie machte so vieles, was in anderen Temperaturen völlig banal erscheint, zu einer Herausforderung. Auch wenn wir für all das, was wir in Kauf genommen hatten, auch wahnsinnig belohnt wurden.

    Tag 9 – Durch den Schneesturm bis zur Fjällstation Saltoluokta (24 km)

    Das dritte breilose Frühstück in Folge! Das Leben war großartig! Nachdem ich meine wunden Hacken versorgt und den rechten mit nun schon fünf Blasenpflastern großflächig abgeklebt hatte, starteten wir früh mit den letzten gebratenen Wraps in den Tag.

    Der Blick nach draußen offenbarte, dass sich das Wetter geändert hatte. Es war vollkommen bewölkt und erste Schneeflocken fielen vom Himmel herab und wurden vom Wind um die Hütte gewirbelt. So wie wir am ersten Tag gestartet waren, würde unsere Tour nun also am neunten Tag enden. Dazwischen: sieben Tage voller Sonnenschein.

    24 Kilometer hatten wir noch vor uns! Die längste Etappe der Tour! Und in dem umschlagenden Wetter sicher noch mal eine anstrengende, die wir in Anbetracht der Länge früh angingen. Beinahe in direkter nördlicher Richtung ging es zunächst bergan. Der Wind peitschte die Schneeflocken um uns herum. Es war bitterkalt im Wind. Während wir durch ein hochgelegenes Tal aufstiegen und links und rechts die Flanken der Berge zuweilen aus dem Neben hervorragten, wuchsen uns dicke Eiszapfen im Bart und am Kinn.

    Keine Bedingungen für gemütliche Pausen unterwegs. Wir liefen das erste Dutzend Tageskilometer unentwegt in hohem Tempo, um nicht auszukühlen. Im Autsjutvagge, so der Name des Hochtals durch das wir liefen, fanden wir einen kleinen geschlossenen Unterstand, der uns Schutz wie auch Gelegenheit bot, die schwindenden Energiereserven über Schokoriegel und heißen Tee wieder aufzufüllen. Derweil plauderten wir mit zwei schwedischen Eisfischern, die auf Schneemobilen unterwegs waren und ebenfalls in die Hütte kamen.

    Nach der Pause blieben die Bedingungen unverändert, aber es lief sich gut bei uns. Die Sicht im Schneegestöber war zwar bescheiden, doch konnten wir uns an den Markierungen des Kungsleden orientieren. Wären diese nicht gewesen, hätten wir sicher größere Schwierigkeiten mit der Wegfindung gehabt. So blieben wir straight auf Kurs gen Norden und nach Saltoluokta.

    Wir machten weitere neun Kilometer. Dann endlich folgte die ersehnte lange Abfahrt, die wir im Höhenprofil schon am Morgen ausgemacht hatten. Über 300 Höhenmeter ging es nach Saltoluokta hinunter. Ein Riesenspaß zum Abschluss, der uns gegen Ende kurvig durch dichten Birken- und Tannenwald führte.

    Als wir in Saltuolokta ankamen und unter dem hölzernen Schild hindurchliefen, auf dem der Name der im Wald liegenden Fjällstation in großen Lettern verzeichnet ist, war ist die Freude riesig! Wir hatten es geschafft und die Tour nach sage und schreibe neun Tagen beendet!

    Saltuolokta bestand wie Aktse selbst aus mehreren hölzernen Gebäuden und macht ebenfalls eher den Eindruck eines Hüttendorfes denn einer allein stehenden Hütte. Wir machen Ankunftsfotos und buchten uns in ein Vierbettzimmer in der urigen Rangerhütte, dem ältesten Gebäude vor Ort, ein.

    Und unsere Ankunft war gerade richtig. Der Sturm sollte bereits am Abend und in der Nacht zunehmen und jegliche Touren sollten kaum mehr möglich sein ab dem nächsten Tag.

    in Saltoluokta gab es eine warme Dusche, die uns vom restlichen Gestank befreite, eine Sauna mit Blick in die Berge und am Abend ein vorzügliches Essen in dem urigen Haupthaus der Fjällstation: schwedisch gebackene Kartoffeln und Rote Beete an Elch-Roastbeef auf gedünsteten Zwiebeln an einer Rotweinsauce. Dazu frischgebackenes Brot mit Butter und Salat. Zum Nachtisch ein Schokoladenbrownie an Kaffeesirup. Und als Getränk ein schwedisches Craft Beer, welches nach Heidelbeere schmeckte. Und all das durften wir auch noch in komplett frischen Klamotten genießen, die wir noch in der Pulka transportiert hatten. Die Zivilisation hatte uns nun vollends zurück! Daran konnten auch die fünf Kilometer, die wir am kommenden Morgen in stürmischen Bedingungen noch auf die andere Seite des Akkajaure zu laufen hatten, um unseren Bus zurück nach Gällivare zu erwischen, nichts mehr ändern…

    Ein großes Abenteuer ging an diesem Abend zu Ende während in der Rangerhütte im Bett liegend die vorletzte Tüte Haribos geöffnet wurde! Danke für all das, dass wir das erleben durften! Es war ein großartiges Abenteuer!

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