9
Mrz
2018

Tag 105 Round Hill Creek bis Mount Guy Saddle (36 Kilometer)

Mitternacht. Die ersten Augenblicke des neuen Tages und ich schaute von meinem Zeltplatz am Round Hill Creek noch immer in das funkelnde Sternenfirmament über mir. Ich muss schon sagen, ich bin hier draußen auf dem Trail doch sehr gesegnet. Ich wache so ziemlich jeden Tag draußen in bezaubernder Natur auf, wandere tagsüber durch die wundervollsten Landschaften oder nachts unterm Sternenhimmel, atme die frische Luft, trinke aus klaren und erfrischend kühlen Bergbächen, spüre den Wind, die Sonne und den Regen in meinem Gesicht und am Abend schlafe ich meist an einem weiteren traumhaften Platz in der Natur ein. Im Vergleich zu meinem Stadtleben davor habe ich mein Leben damit natürlich für die Dauer meiner Reise ziemlich drastisch umgekrempelt und alles in allem auch trotz nicht zu verleugnender körperlicher und ab und an auch mentaler Strapazen sehr vereinfacht für die Zeit des Trails. Und je mehr ich über mein derzeitiges Leben nachdenke, desto mehr kann ich jedem nur empfehlen: simplify your life. Das muss nicht gleich ganz krass für fünf Monate sein, aber vielleicht für die eine ganz sicher individuell zu bemessende Zeit, die über den gewöhnlichen Erholungsurlaub hinausgeht. Es ist verrückt wie sich so manche Sicht auf die Dinge ändert…

Ich habe wirklich lange wach gelegen in der Nacht und aus meinem Schlafsack heraus noch in den Sternenhimmel geblickt. Auch wenn immer wieder schnell hinüberziehende Wolken das traumhafte Firmament mit seinem hell leuchtenden Band der Milchstraße verdeckten, konnte ich mich lange Zeit nicht vom Nachthimmel losreißen. Erst gegen 1 Uhr in der Nacht hab ich mich schlafen gelegt und entsprechend befand mich heute morgen dann auch erst sehr spät auf dem Trail.

Ich glaube ich bin irgendwann so um 8 Uhr erst richtig aufgewacht. Tiere – ich hatte ja mein Abendessen am Vortag unfreiwillig in die Landschaft verteilt als ich meinen Kochtopf umkippte – haben mich übrigens nicht wachgehalten 😉

Es nieselte leicht am Morgen und der Berghang, an dem ich mich befand, lag dicht in Wolken. Erst wollte ich mich nochmal umdrehen. Ich spürte meine Beinmuskeln von den Anstrengungen des Vortages und das Wetter schrie nicht gerade danach, dass ich sofort aufbrechen sollte. Aber ich hatte mich sicher schon dreimal, noch halb im Schlaf versunken, umgedreht als ich früher am Morgen irgendwann mal die Augen geöffnet hatte. Na gut, erstmal frühstücken, dachte ich. Dafür musste ich mich nicht aus meinem Schlafsack pellen und es würde mir noch etwas Schonfrist geben, bis ich meine Sachen packen würde.

So gegen 9 Uhr bin ich dann aufgebrochen. Ich hatte meine vom Vortag noch völlig nassen Schuhe und Socken an und die hohen, vom Nieselregen feuchten Tussockgräser sorgten schnell dafür, dass auch meine Hose durchnässte. So erklomm ich ab der Hüfte in nassen Klamotten den Clent Hill Saddle. Am Vortag hatte ich noch überlegt, früh aufzustehen und mit der Stirnlampe in der endenden Nacht auf den Sattel zu steigen, von dem aus es eine schöne Aussicht geben sollte. Man gut, dass ich das nicht getan haben. Die Sicht oben war gleich Null. Von meiner Campsite zum Sattel waren es nur 250 Höhenmeter, aber ich befand mich mittendrin in den Wolken. Nasse Klamotten, keine Aussicht, Nieselregen… ganz so hatte ich mir das nicht vorgestellt, aber egal, dafür war gestern umso fantastischer und wenigstens hatte es hier oben keinen Wind. Noch nicht zumindest.

Der Abstieg erfolgte zunächst abwechselnd durch hohe Gräser und Geröllhänge an der Flanke des Berges. Später folgte ich einem Gratverlauf durch die gelbbraune Tussocklandschaft.

Nach einigen kleineren Flussquerungen stieg ich nochmal auf einen weniger hohen Sattel, den Mellish Saddle, hinauf. Da ich mich wieder unter der Wolkendecke befand, offenbarte sich zumindest von hier eine sehr schöne Aussicht. Die Fernsicht auf die Longman Range und den an ihrem Fuß liegenden Seagull Lake war fantastisch. Ich genoss diese Aussicht sehr, wenn auch nicht sehr lang. Es hatte zwar aufgehört zu nieseln, doch war der leichte Regen einem sehr kalten Wind gewichen, der nun blies.

Vom Mellish Saddle erfolgte der Abstieg in die vor mir liegende Hochebene. Ich eilte mich runterzukommen. Der Wind blies kalt und ich ging davon aus, dass dies nur am Berghang so wäre und es unten im Tal vielleicht keine Windstille, aber einen weniger schneidenden Wind hätte. Da irrte ich gewaltig. Nachdem ich abgestiegen war – nicht ohne mehrfach vom Track abzukommen und mir dann meinen Weg durch Dornenbüsche und Speergras bahnen müssend – blies der Wind fast noch deftiger.

Gegen 12 Uhr passierte ich nach einigen weiteren Kilometern in der Hochebene die Abzweigung zur Double Hut. Da ich spät gestartet war, entschloss ich mich, jedoch bis zur nächsten Hütte, der weitere fünf Kilometer entfernten Manuka Hut, weiterzulaufen und dort windgeschützt meine Mittagspause einzulegen. Der Weg dorthin durch die Hochebene zog sich allerdings. Ich lief die gesamte Longman Range entlang, passierte den Seagull Lake und später auch den Manuka Lake. Es hatte wieder begonnen zu nieseln und der Wind blies noch heftiger als zuvor. Er war eiskalt. Dennoch wollte ich nicht stoppen um mir eine oder mehrere wärmende und vor allem eine winddichte Lage Klamotten sowie meine Handschuhe herauszuholen. Irgendwie dachte ich bei nur fünf Kilometern bis zur Manuka Hut könnte ich darauf verzichten.

Nach nicht ganz anderthalb Stunden, in denen ich unentwegt gegen den frontal kommenden Wind und Nieselregen ankämpfte, kam ich völlig durchgefroren an der Hütte an. Ich konnte meine Finger kaum noch bewegen, so kalt fühlten sich diese an. Mühselig, denn ich hatte ja kein Gefühl mehr in den Fingern, zog ich mir nun in der Hütte meine Handschuhe über und kochte mir zum Mittag was warmes zu essen. Meinen Eiskaffeedrink, den ich für gewöhnlich ja aus Instant-Caramell-Latte, Vanille-Proteinpulver und Milchpulver zubereitete, genehmigte ich mir anschließend als Heißgetränk. Milchpulver hatte ich zwar nicht mehr, dafür aber Bananenmilchshakepulver. Wow, das war ja noch besser. Heute vor allem in der heißen Variante.

Ich hatte bei meiner Ankunft in der Hütte und dem heftig im gesamten Tal blasenden Eiswind – in Europa würde man von der russischen Eispeitsche sprechen, aber dafür war ich zu weit entfernt 😉 – wirklich überlegt, ob ich heute noch weiterlaufen sollte oder vielmehr wollte, aber nach anderthalb Stunden Pause, als endlich wieder Wärme in meine Glieder eingekehrt war, machte ich mich in unverändertem Wetter wieder auf den Weg. Diesmal aber mit wärmeren und windstoppenden Klamotten an…

Als ich die Hütte verließ, traf ich zunächst auf einen Northbound-Hiker, also einen mir entgegenkommenden Te Araroa-Hiker. Er berichtete mir, dass die Wettervorhersage für morgen wieder besseres Wetter vorsah. Zudem versorgte er mich noch mit dem Wasserdurchfluss des Rangitata River vom heutigen morgen: 77 Kubikmeter pro Sekunde. Das klang soweit gut, wobei sich da bis morgen natürlich noch viel ändern könnte.

Ich lief von der Manuka Hut unzählige Kilometer weiter durch die Hochebene, überstieg einen kleinen Hang und gelangte dann über einen 4WD-Track auf eine Schotterstraße. Der Wind hatte nun glücklicherweise etwas nachgelassen und so konnte ich den Hike durch diese unendliche weite Ebene, eingerahmt von den hohen Bergen, richtig genießen.

Ich lief in recht zügigem Tempo Kilometer um Kilometer und erreichte am frühen Abend den Beginn des Clearwater Tracks, der mich auf weiteren 21 Kilometer bis zum Rangitata River führen würde. Vielleicht könnte ich Anna ja heute noch einholen, dachte ich. Sie wollte, so mein letzter Stand, am Lake Clearwater zelten und wenn ich durchziehen würde, könnte ich den etwa 14 Kilometer entfernten See mit Einbruch der Dunkelheit erreichen. Dann traf ich gegen 18:30 Uhr jedoch auf Pete und Stuart, zwei 60-jährige Te Araroa-Hiker, die ihr Zelt nahe eines Flusslaufes, den ich passieren musste, aufgestellt hatten. Sie berichteten mir, dass sie Anna gesehen hätten und dass sie heute bis spät abends zum Rangitata River laufen wollte. Das würde ich definitiv nicht vor Einbruch der Dunkelheit schaffen und so beschloss ich „nur“noch knappe sechs Kilometer weiter bis zu einem westlich des Mount Guy gelegenen Sattel zu hiken und dort mein Zelt aufzuschlagen. Von hier aus hätte man laut Trailbeschreibung eine gute Aussicht hinunter auf den Lake Clearwater bis hin zum Rangitata River.

Um 20 Uhr kam ich etwa eine halbe Stunde vor Einbruch der Dunkelheit an. Das war teils ein ganz schöner Gewaltmarsch gewesen heute: 36 Kilometer auf in der zweiten Tageshälfte einfachem, in der ersten Tageshälfte jedoch teils schwierigem Terrain und ungemütlichen Wetter. Bis zum Rangitata River sind es morgen nun noch knappe elf Kilometer.

Ich baute mein Zelt schön gelegen mit Aussicht hinunter auf den Lake Clearwater auf und suchte mich dann recht schnell aufzuwärmen und aus den nassen Schuhen und Socken – es war wieder ein einziger Wet-Feet-Day heute 😉 – herauszukommen. Zum Abendessen gab es dann die doppelte Portion Käsemaccaroni und einiges an Schokolade. Ich glaube das habe ich mir heute verdient. Zum weiteren Aufwärmen funktionierte ich am Abend übrigens meine Trinkflasche als Wärmflasche um 😉

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