2
Mrz
2018

Tag 98 Kiwi Hut bis Goat Pass Hut (28 Kilometer)

Es ist soweit: ich bin auf einem rutschigen Pfad einen Hang einige Meter hinuntergestürzt und hab mir was gebrochen. Gottseidank nur ein Ausrüstungsteil: einen meiner Trekkingstöcke. Dennoch saß der Schock erstmal. Aber auch davon ab hatte ich einen total verrückten Tag: ausdauerndes Hiken im Regen mit einigen Irrwegen, deutlich anspruchsvollen Flussdurchquerungen und dem Wahnsinns-Deception-River-Track, den ich trotz Regens in Angriff genommen, aber nach 12 Stunden Hikens erfolgreich abgeschlossen habe. Anspruchsvolle Kletterpassagen und stundenlanges Hiken im Wildwasser des Deception River eingeschlossen…

Angesichts der heftigen Sektion heute hatte ich die Nacht etwas unruhig geschlafen. Ich wollte früh in den Tag starten und keinesfalls erst um 8 Uhr wie in den vergangenen Tagen loskommen. Mein gestern Abend geschmiedeter Plan sah letztlich vor, nach den ersten 14 Kilometern des Tages bis zur Morrison Footbridge noch heute auf den Deception River Track einzusteigen und weitere 14 Kilometer bis zur Goat Pass Hut am Goat Pass aufzusteigen. Das wären zwar insgesamt „nur“ 28 Kilometer, aber 28 Kilometer durch sehr schwieriges Terrain mit elendig vielen Kletterpassagen und schweren Flussfurtungen. Insgesamt sah die Trailbeschreibung knappe 15 Stunden für diesen Hike vor. Ich wollte auch daher heute morgen bereits um 7 Uhr los.

Heute Morgen oder vielmehr auch bereits in der Nacht hatte ich schon überlegt, ob ich überhaupt heute aufbrechen sollte. Es hatte die halbe Nacht geregnet und draußen war auch am Morgen noch fürchterlich-trübes Regenwetter. Ich zweifelte sehr daran, dass die River Crossings trotz der Erfahrung, die ich hatte, dabei überhaupt machbar wären. Dann entschied ich mich aber, mir die erste Flussquerung, die etwa zwei Kilometer nach der Hütte und nach dem Zusammenfluss von Taramakau und Otehake River anstand, zunächst erstmal anzuschauen. Wieder zur Hütte umkehren konnte ich immer noch.

Die Regenwolken hingen niedrig im Tal während ich zur vorgesehenen Stelle für die Flussfurtung lief. Als ich dort ankam, musste ich feststellen, dass der Fluss nach dem weiterhin andauernden Regen reißend und mit hohem Wasserlevel war. Er schien mir nicht ohne Weiteres querbar. So ich nicht eine ähnliche Erfahrung wie beim Boyle River machen wollte, müsste ich mir also etwas Überlegen. Ich lief von der eigentlichen Furtungsstelle hinter dem Zusammenfluss des Taramakau und Otehake River gut einen halben Kilometer zurück zu einer Stelle kurz bevor die beiden Flüsse sich vereinigten und querte dann zunächst die beiden hier fließenden Arme des Taramakau River. Kurze Zeit später tat ich gleiches mit den beiden Armen des Otaki River. Das Wasser ging mir deutlich an den Oberschenkel aber insgesamt ließen sich die einzelnen Flussarme zügig queren und ich gelangte sicher an die andere Seite des Ufers.

Im Anschluss an die Flussquerungen folgten zunächst acht Kilometer Hikens durch Grasebenen, auf Steinbänken und im Wald linksseits des Stroms. Das ließ sich einfach und zügig laufen. Nur der Regen machte mir Gedanken. Immerhin wollte ich heute noch deutlich weiterkommen. Dafür war ich aber, so dachte ich, auf deutlich besseres Wetter angewiesen. Aber wie dem auch sei, ändern könnte ich es ohnehin nicht. Mit einem Hörbuch, „Sherlock Holmes und das Geheimnis des weißen Bandes“ lenkte ich mich vom steten Regen ab.

Nach gut zweieinhalb Stunden erreichte ich den Beginn des vier Kilometer langen Flood Tracks, der aus einer Serie von scharfen An- und Abstiegen in der steilen und bewaldeten Flanke des Berges über dem Otari River besteht. Einige Northbounder, nordwärts wandernde Hiker, hatten mich bereits vor diesem Track gewarnt. Zyklon Gita sollte viele Stellen des Tracks zerstört haben. Bäume würden entwurzelt quer über den Track liegen und kaum ein Druchkommen erlauben. Sie hatten mir daher empfohlen durch das in mehrere Arme aufgefächerte Flussbett des Otari River zur Morrison Footbridge zu hiken.

Ich versuchte dies anfangs und kämpfte mich vielleicht an die 600 bis 700 Meter so vor, doch dann gab es kein Weiterkommen. Der Fluss führte aufgrund des Regens selbst in seinen kleineren Verzweigungen oftmals zuviel Wasser. So suchte ich im Steilhang neben dem Fluss einen der orangenen Trailmarker, um möglichst hier wieder auf den Flood Track einsteigen zu können. Knappe 20 Meter über dem Fluss entdeckte ich tatsächlich im Hang an einem der Bäume einen der Marker und kletterte dann mühevoll auf den Flood Track hinauf.

Der Flood Track war echt hart zu hiken. Der Track verlief so gut wie gar nicht eben, es ging stetig steil im Hang auf und ab. Immer wieder waren ganze Abschnitte des Tracks zerstört von umgeworfenen, quer übereinanderliegenden Bäumen und ihren Baumkronen. Ich balancierte teils im steilen Hang mit dem Abgrund neben mir über die zwar breiten, aber moosigen und feuchten Stämme entwurzelter Bäume, quetschte mich unter selbigen oder ihren Baumkronen hindurch oder umkletterte sie mühsam.

Dann passierte es im steilen Hang. Ich glitt von einem feuchten Stamm, auf dem ich gerade einen Hang querte, ab und fiel und rutschte mehrere Meter den Hang hinab. Als ich zum Stoppen kam fluchte ich zunächst. Ich hatte mir die Hand aufgeschürft und ein knackendes Geräusch hatte mir bereits im Sturz verraten, dass es einen meiner Trekkingstöcke zerlegt hatte. Durchgebrochen… Sonst war mir zum Glück nichts passiert und so rappelte ich mich dann schließlich doch wieder auf, verbuchte das ganze als weitere Erfahrung und machte mich nun ganz ungewohnt mit nur einem Trekkingstock und etwas vorsichtiger als vorher weiter auf den Weg.

Irgendwann schien kaum noch ein Durchkommen aufgrund der vielen umgestürzten Bäume. Ich kam kaum noch voran und entschloss mich nach einem Blick auf die Karte dazu, wieder runter ins Bett des Otari River zu wechseln und dort die letzten anderthalb Kilometer bis zur Morrison Footbridge zu laufen. So wie es auf der Karte aussah, könnte ich weitestgehend auf den Steinbänken neben den Verzweigungen des Flusses gehen und so stieg ich den Hang wieder hinab Richtung Fluss.

Ich hatte Glück. Ich konnte tatsächlich den Rest des Weges auf den Steinbänken des Flusses laufen. Nur einige Mal querte ich einige kleinere Flussarme, die sich jedoch maximal als knietief herausstellten. So gelangte ich gegen 13 Uhr an die Morrison Footbridge und den Beginn des Deception River Track.

Ein großes Warnschild kündete von den Gefahren dieses Tracks. Es wies unter anderem darauf hin, dass der Deception River selbst bei leichtem Regen stark anschwellen und es zu extremen Wasserleveln kommen könnte. Man sollte den Track daher möglichst nur bei gutem Wetter begehen bzw. darauf vorbereitet sein, in Hochwasserphasen auszuharren. Zudem erforderte der Track mit seinen unzähligen Flussfurtungen reichlich Erfahrung im Queren von Flüssen.

Ich war unsicher. Seit dem vergangenen Abend regnete es beständig und ich hatte keine Ahnung wie sich das Wetter morgen entwickeln würde. Für heute war, da war ich mir sicher, schon mal keine Besserung in Sicht. Den unverändert niedrig hängenden Wolken nach würde es heute auch den Rest des Tages regnen. Ich überlegte. Meine Möglichkeiten bestanden darin, den River Track anzugehen, hier unten ein Zelt aufzuschlagen oder vom nahegelegenen Highway aus nach Arthurs Pass zu trampen und dort ein gutes Wetterfenster abzuwarten.

Ich studierte die Karte. Das erste Crossing des Deception River stand in nur anderthalb Kilometern an und laut einem Hinweis auf dem Warnschild gäbe dieses zumindest einen Anhaltspunkt, ob der Track begehbar bzw. nicht begehbar wäre. Würde diese erste Querung bereits Probleme verursachen, wäre der Track im Gesamten nicht machbar, so hieß es. Denn die späteren Flussfurtungen des Deception River wären deutlich schwieriger, da sie tiefer wären und der Fluss in diesen eine größere Strömung als beim ersten Crossing mit sich führte.

Ich ließ es darauf ankommen. Ich hatte wenig Lust mein Zelt hier unten im Regen aufzuschlagen, noch wollte ich nach Arthurs Pass trampen, nur um später dann wiederzukommen. Also wollte ich erstmal das erste Crossing machen, um dann zu entscheiden, wie es weitergehen könnte.

Ich erreichte die Stelle nach etwa einer halben Stunde. Ok, dachte ich, daß sieht doch schon anspruchsvoller aus als gedacht. Der Fluss schien ordentlich tief, vor allem strömte er aber schnell dahin und an vielen Stellen türmten sich durch Wildwasser Wellen auf. Ich suchte mir eine halbwegs gute Stelle für die Querung, dann ging ich diese an. Es war schwieriger als gedacht, dennoch hatte ich durchaus noch Luft nach oben. Ich entschloss mich daher dazu, dem Track weiter zu folgen. Allernotfalls würde ich irgendwo unterwegs mein Zelt aufbauen.

Einen Kilometer weiter kam die nächste Querung. Der Fluss war nun schon deutlich reißerischer, hatte jede Menge Wildwasser und strömte schneller, denn der Anstieg nahm zu und damit ebenso das Gefälle für den Fluss. Ich versuchte die Querung, mit selber Technik wie beim Boyle River, jedoch nur mit einem Trekkingstock. Dieser zitterte in der starken Strömung. Auf der Hälfte der Querung brach ich ab und kehrte zum Ufer zurück, von dem aus ich aufgebrochen war. Ich hatte die Hauptströmung noch nicht erreicht, aber das Wasser stand mir bereits bis knapp unter die Hüfte und drohte beinahe mich umzuwerfen.

Ich entschloss zunächst eine Pause zu machen, etwas zu essen und nachzudenken. Ich war jetzt seit über sechs Stunden ohne Pause unterwegs. Daher suchte ich mir einen halbwegs regengeschützten Platz am Flussufer und kochte mir zunächst ein paar Nudeln. Zudem aß ich meine letzten Gummibären. Währenddessen blickte ich auf den Fluss hinaus und überlegte.

Nach der Pause entschloss ich mich dazu es noch einmal zu probieren, jedoch mit abgewandelter Technik. Ich packte meinen Trekkingstock ein und suchte mir am Flussufer einen knapp zweieinhalb Meter langen, stabilen Ast bzw. Stock als Querungshilfe. Ich setzte ihn ähnlich wie zuvor den Trekkingstock ein, indem ich ihn stromaufwärts blickend schräg vor mir in den Boden bzw. das Flussbett rammte und dann abwechselnd seitwärts einen Schritt und dann den Stock neu setzte. Im Gegensatz zu dem Trekkingstock bzw. den Trekkingstöcken konnte ich auf den Ast jedoch mein gesamtes Körpergewicht lehnen, da mir das obere Ende des Stocks gegen meine rechte Schulter drückte. So bekam ich einen noch sichereren Stand als mit den Trekkingstöcken und querte den Fluss erfolgreich.

Was nun begann war ein wahnsinnig spannender und aufregender Track, der mir selbst in dem Schlechtwetter, was es hatte, einen Wahnsinnsspaß bereitete. Ich folgte dem Deception River immer weiter flussaufwärts Richtung dem auf über 1.000 Höhenmetern liegenden Goat Pass. Dabei ging es mal im Hang in losem Geröll voran, mal hüfttief zwischen Felsen entlang durch den Fluss und das Flussbett selbst und vielfach mit Kletterpassagen an großen Felsbouldern im und neben dem Fluss, an einer Stelle sogar seilversichert. Die größeren Querungen des Deception River, von denen es einige weitere hatte, machte ich beinahe alle wie zuvor, indem ich mir einen langen Ast als Querungshilfe suchte. So gelangte ich sicher auf die andere Seite, wenn mir das Wasser auch stets bis an die Hüfte heranreichte.

Manch einer wird es vermutlich leichtsinnig finden, dass ich bei dem Regen und dem hohen Wasserstand aufgebrochen bzw. weitergegangen bin, aber ich denke dabei ist auch immer eine sehr subjektive Betrachtung erforderlich. Ich vergewissere euch, ich habe hier unter Berücksichtigung meiner eigenen Fähigkeiten, meiner Einschätzung der Situation und Vorbereitung, auf das was kommen könnte, meinen gesunden Menschenverstand nicht außer Acht gelassen. Für mich persönlich war es in dieser Situation nicht zu gefährlich weiterzugeben und wäre es das gewesen, wäre ich keineswegs so weit gegangen. Gleichwohl werde ich sicher niemanden empfehlen, das in ähnlicher Wetterlage nachzumachen, zumal da wie oben beschrieben andere Faktoren ja noch eine ganz ausschlaggebende Rolle spielen.

Gegen 17.30 Uhr erreichte ich auf 750 Höhenmetern die Upper Deception Hut, eine kleine 6-Matratzen-Hütte, die ich allerdings nur kurz aufsuchte. Ich war sicher, noch die folgenden zwei Kilometer und 300 Höhenmeter bis zur Goat Pass Hut hiken zu können, auch wenn der Track nun richtig schwer werden würde.

Gerade der letzte Kilometer war nur noch ein Aufsteigen und Klettern im kalten, hüfttiefen und aufgrund des starken Gefälles wasserfallartigen Strom. Es ging abwechselnd kletternd über riesige Felsbrocken im oder neben dem Fluss nur um daran anschließend hüfttief in den Strom und dessen reißendes Wildwasser hinabzusteigen, ihn zu queren oder durch dessen Flussbett und an seinen Felsen, über die das Wasser strömte, aufzusteigen. Was für ein Abenteuer. Ich war vollkommen durchnässt, aber trotz der Kälte des Wassers fror ich nicht, da ich unentwegt in Bewegung blieb und wie im Rausch kletterte.

Um 19 Uhr erreichte ich schließlich etwas entkräftet, aber glücklich, die Goat Pass Hut, eine große auf 1.057 Metern gelegene DOC-Hütte mit 20 Betten. Ich freute mich echt wahnsinnig auf ein Kaminfeuer, um meine Sachen trocknen zu können. Dann die kurze Enttäuschung, denn leider gab es genau das nicht. Die Goat Pass Hut ist tatsächlich bislang die einzige Hütte auf der Südinsel, soweit ich mich erinnere, die keinen Kamin hat. So wrang ich von den Socken, über meine Hose und Unterwäsche, T-Shirt und Hoodie alle meine Sachen aus, hängte sie behelfsmäßig in der Hütte an einem Bettrahmen auf und freute mich darüber, sie dann morgen halt halbnass wieder anziehen zu dürfen. Egal, morgen ist noch weit weg. Erstmal war ich froh zumindest für den Abend in trockene Ersatzklamotten zu kommen.

Ich kochte mir nach dem langem Tag noch gleich die dreifache Portion Abendessen. Ich hatte einen Wahnsinnshunger. Daneben quatschte ich noch etwas mit Eric und Victor, zwei schwedischen Northbound-Hikern, mit denen ich die Hütte teilte und die bereits am frühen Nachmittag aus dem Örtchen Arthurs Pass angekommen waren. Für die kommenden Sektionen gab ich ihnen noch einige Tipps ehe ich mich dann schließlich erschöpft zu Bett begab.

So wie es ausschaut erreiche ich tatsächlich morgen nach nur fünf Tagen Arthurs Pass. Mal sehen, vielleicht lege ich sogar einen Restday ein. Falls das Wetter gut wird, würde ich an sich sich gerne den Avalanche Peak besteigen als Sidetrip. Das soll eine sehr lohnenswerte Tour sein. Aber mal sehen. Was das Wetter für die kommenden Tage angeht, erfahre ich sicher morgen mehr. Vielleicht sehe ich auch Anna wieder. Sie hat im Hüttenbuch eine Nachricht für mich hinterlassen, nach der sie womöglich ebenfalls in Arthurs Pass pausiert. Ich werde ihr morgen mal direkt, wenn ich wieder Empfang mit meinem Telefon habe, schreiben.

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