1
Jul
2019

Tag 10 Cape Wrath Trail – Unverhofftes Glück! Von den Ruinen von Glen Douchary bis River Oykel (29 Kilometer)

Es regnet und regnet und regnet. Die ganze Nacht bereits hindurch. Es nimmt irgendwie kein Ende. Manchmal ist der Regen schwächer und mal pladdert es wieder wie verrückt. Dann schlägt mir der Wind richtig dicke Tropfen an die Zeltaußenwand. Der Boden war ja gestern Abend schon längst aufgeweicht und trotz meiner etwas erhöhten Lage hat es mir entsprechend auch die ganze Nacht hindurch Wasser durch den Zeltboden ins Zeltinnere gedrückt. Ich hab es im Zweistundentakt mit meinem Handtuch aufgewischt und musste dieses heute morgen erst mal ordentlich auswringen…

Es ist halb acht und des Regens wegen mache ich von ein paar Überlegungen abgesehen so gut wie keine Anstalten aufzustehen. Um neun scheint es etwas schwächer zu werden. Es hat sogar mal kurze Phasen ohne Regen. Dennoch ist meine Motivation nicht an ihrem höchsten Punkt. Ich weiß, dass das erste Stück heute anstrengend, wenn nicht gar in diesem Wetter unpassierbar sein wird. Ich hab gleich auf den ersten Kilometern ein paar Flussfurtungen vor mir, die nicht ohne sein sollen. Ich packe dennoch meine Sachen zusammen, ziehe meine völlig durchgeweichten Socken und Schuhe an und mache mich in einer kurzen Regenpause an den Abbau des klitschnassen Zelts.

Um halb zehn breche ich auf. Ich hatte von einem Haferbreiriegel abgesehen kein Frühstück und werde erst mal versuchen bis zu einer Berghütte, der Knockdamph Bothy in acht Kilometern zu kommen. Da kann ich das Frühstück nachholen.

Die ersten Kilometer verlaufen zunächst weglos. Erst auf den letzten drei werde ich auf einer Schotterstraße laufen können. Überhaupt soll der Weg bis Oykel Bridge, meinem Ziel für heute Abend, dann recht angenehm zu laufen sein. Nur halt das erste Stück nicht. Und das bekomm ich direkt zu spüren, vor allem in diesen Konditionen.

Der River Douchary, den ich unter anderem furten muss, ist zu einem reißenden Strom geworden und auf knapp das Dreifache seiner gestrigen Breite angewachsen, obwohl es gestern ja schon bereits geregnet hat. Nun flutet er hier große Teile des Tals und selbst dort, wo eigentlich keine Bachläufe verlaufen, schlängeln sich nun reißende kleine Ströme durch die Landschaft.

Ich muss immer wieder kehrt machen oder mich um fünfzig bis hundert Meter vom Fluss, dessen Verlauf ich eigentlich im Groben und Ganzen folgen will, fortbewegen, da ich angesichts der neu entstandenen Ströme und des Moores keinen direkten Weg durch den Talgrund am Fluss entlang nehmen kann.

Einige hundert Meter bin ich bereits gelaufen und noch habe ich keine Stelle ausmachen können, an der ich den River Douchary in diesen Bedingungen furten könnte. Der Fluss fließt dermaßen schnell und reißerisch, dass mich der Druck des Wassers an der tiefsten Stelle, dem eigentlichen Flussbett, womöglich von den Beinen holen würde. Trotz aller Erfahrung aus Neuseeland: hier komme ich bislang noch nicht durch. Dennoch muss ich hinüber und hoffe bald eine Stelle zu finden. Weiter unten soll der Fluss in eine enge Schlucht stürzen. Wenn sich der Flusslauf verengt werde ich sicher keine Chance mehr haben…

Ich laufe weiter und komme zu einer breiten Stelle im Tal. Es ist hier so flach, dass sich der Fluss zu mehreren Armen aufgefächert hat. Perfekt, um es hier zu versuchen. Die Technik kenne ich noch zur Genüge aus Neuseeland und so gelange ich sicher hinüber, obwohl sich das Wasser vor mir an der tiefsten Stelle bis zur Mitte meines Oberschenkels aufbaut und kräftig an mir drückt.

Auf der richtigen Flussseite bin ich damit schon mal. Nun noch einige weitere Kilometer durchs Gelände. Immer dem Verlauf des River Douchary folgend. Es dauert nicht lange und der Fluss geht in die angekündigte, von hohen Felswänden eingeschlossene Schlucht über, an deren Rand ich nun hoch über dem Fluss laufe. Schade, dass das Wetter so schlecht ist. Hier ließen sich bestimmt tolle Fotos machen. In dem Regen jedoch bleibt meine Kamera weitestgehend die meiste Zeit im Rucksack verstaut, während ich an beeindruckend tosenden Wasserfällen vorbeiläufe.

Zwei Stunden nach Aufbruch kehre ich dem Flussverlauf den Rücken und marschiere bergan in Richtung des Loch an Daimh, einem langgestrecktem Bergsee, an dessen Nordostufer die Knockdamph Bothy liegt. Für eine Weile hört es doch tatsächlich auf zu regnen als ich den See und die Schotterstraße erreiche, die an seinem Nordufer entlang in einigen weiteren Kilometern zur Bothy verläuft.

Als ich sie erreiche suche ich erstmal Zuflucht. Es regnet wieder und vielleicht kann ich ein paar meiner Sachen hier trocknen. Insbesondere das Zelt hätte es nötig. Also breite ich erst mal all mein nasses Zeugs aus und kümmer mich danach um mein leibliches Wohl – hatte ja kein Frühstück 😉 Da die Frühstückszeit mittlerweile schon längst rum ist, gibt es Instantnudeln und einen Kaffee. Boah, tut es gut, sich nach so einer Nacht für kurze Zeit in einer Hütte aufzuhalten. Das gibt wieder richtig Kraft.

Ich dehne die Pause aus, um noch etwas mehr Power zu sammeln. Und während ich mir im Hüttenbuch Rachels letzten Eintrag anschaue, schneien zwei Holländerinnen in die Hütte, die von Ullapool bis Cape Wrath laufen und heute morgen auf ihren Trail gestartet sind. Der Schotte Douglas kommt auch noch herein. Er läuft ebenfalls bis zum Cape Wrath und nahm ebenfalls den Alternativweg von Ullapool aus.

Gut zwei Stunden bleibe ich in der Hütte. Das Zelt ist zwar noch nicht trocken und vor allem meine Socken und Schuhe nicht, aber fürs Wohlbefinden war die lange Pause dennoch richtig gut. So starte ich gegen zwei wieder hoch motiviert auf den Trail und pushe erst mal die sieben Kilometer bis zur Schoolhouse Bothy auf gutem Track in Eineinviertelstunden durch.

Das Wetter bessert sich etwas. Nur kühl ist es. Laut der Wettervorhersage von gestern dürften es heute gerade mal um die 8 bis 10 Grad sein. Dennoch frier ich nicht. Ich hab mich in der letzten Stunde ziemlich warmgelaufen.

Mit dem etwas besseren Wetter – es regnet nicht mehr ununterbrochen 😉 – kommt etwas Sicht in die Landschaft zurück, die zwar schön hier ist, aber auch deutlich sanfthügeliger und nicht zu vergleichen mit dem, was ich die vergangenen Tage zu sehen bekommen habe. Dafür ist die Schoolhouse Bothy – das Gebäude wurde bis 1930 als Schule genutzt – ein kleines Highlight mit ihrer Einrichtung aus alten Pulten, einer Tafel und alten Büchern.

Ich bleibe eine Stunde und koche mir noch einen Kaffee. Bis zum Pub in Oykel Bridge, wo ich zu Abend essen und ein schönes schottisches Ale oder einen Cider trinken will, sind es noch sieben Kilometer. Wenn ich da zu früh auflaufe, steh ich in dem schönen schottischen Regenwetter heute doch glatt noch ne Stunde vor verschlossener Tür 😉

Um vier breche ich erst wieder auf. Grob folge ich auf der Schotterstraße dem Verlauf des River Einig. Trotz der nassen Schuhe und Füße fühlt es sich gar nicht so unangenehm an. Vermutlich gewöhn ich mich auch wieder an die stets nassen Füße. Und so läuft es abermals gut. Ich nehme richtig Fahrt auf dem Schotter auf und stehe tatsächlich um fünf Uhr bereits sieben Kilometer weiter vor der Eingangstür des Pubs. Unglaublich. So ein Tempo hab ich selbst in Neuseeland nicht geschafft. Der gute breite Weg, der nur wenig An- und Abstiege aufwies und eher durch eine unspektakuläre Landschaft führte, hat es allerdings auch hergegeben. Und der Kaffee vorm Start hat mich vermutlich zusätzlich in Schwung gebracht 😉

Ich frag noch mal nach einem Bett im Pub, zumal es das letzte vor Cape Wrath sein könnte, aber Fehlanzeige. Egal. Damit hatte ich nach gestern ja gerechnet. Ich werd sicher nen guten Spot am River Oykel finden, dem ich die nächsten 10 Kilometer ohnehin stromaufwärts folgen muss. Da kommt doch tatsächlich von Rachel ne Nachricht, dass sie heute morgen vom Pub in Oykel Bridge aufgebrochen ist, und in ca. fünf bis zehn Kilometern Entfernung einige nicht verschlossene Fischerhütten stehen, in denen man schlafen könnte. Perfekt! Ich hab echt nicht damit gerechnet heute noch ein Dach überm Kopf zu bekommen.

Darauf genehmige ich mir erstmal einen Cider und… Trommelwirbel… ja klar, einen Burger als Pubfood. Was auch sonst?! 😉 Während ich esse, lädt meine Elektronik.

Dann laufe ich um 19 Uhr weiter nachdem ich zuvor noch schnell meine Wasservorräte aufgefüllt hab. Natürlich regnet es wieder und zu allem Überfluss friere ich auch noch. Schnell ziehe ich mir meine Regenhose über, die Kapuze meiner Regenjacke tief ins Gesicht und dann gebe ich Gas. Bei dem Wetter freue ich mich irgendwie noch mehr über die Hütte am Fluss.

Nach einer Viertelstunde bin ich aufgewärmt. Der Trail verläuft recht unspektakulär, so wie zuletzt: auf einer breiten Schotterstraße durch eine flachgewellte Landschaft mit kleinen Wälder und dem breiten Flusstal, meist in einiger Entfernung zum Fluss. Ich passiere ein größeres Farmgebäude und eine Stunde später bin ich doch tatsächlich bei einer der Hütten angelangt. Wie ne schön spießige deutsche Gartenlaube 😉 Aber definitiv genug Platz für meine Isomatte auf dem Boden und sogar ein paar Stühle mit Tisch hat es hier.

Als ich mein Lager bereitet habe, ist neun Uhr und ich ehrlich gesagt von der letzten Nacht ziemlich platt. Ich glaube kaum, dass ich heute noch alt werde, auch wenn ich es sicher versuchen werde…

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