18
Apr
2022

Im Winter durch die Hardangervidda – Eine Backcountry-Skiexpedition mit Pulkas Teil 1

In sechs Tagen quer über die größte Hochebene Europas und das im Winter. Einmal durch die Kühlkammer des europäischen Kontinents: die Hardangervidda in Norwegen! Eine Wüste aus Schnee und Eis, die sich über beinahe mehr als 100 Kilometer in sämtliche Richtungen erstreckt. Doch eine winterliche Wüste, die jenseits ihrer kalten, rauen und lebensfeindlichen Bedingungen darüber hinaus auch mit unbeschreiblicher Schönheit und wunderschönen Lichtstimmungen aufzuwarten vermochte. Entgegen unseren Erwartungen erwischten wir das vermutlich beste Wetterfenster der gesamten Saison und hatten bei zumeist strahlendem Sonnenschein kaum mit den heftigen Winden zu kämpfen, für die die Hardangervidda berüchtigt ist. Dafür erwarteten uns in der endlosen Weite des Plateaus jedoch nächtliche Tiefsttemperaturen von bis zu minus 25 Grad, taubgefrorene Glieder und vor allem geschundene und wunde Füße. All das wurde jedoch aufgewogen durch unzählige Momente der Freude ob des tollen Abenteuers, welches wir erleben durften… Was Chris und ich auf unserer Querung der Hardangervidda erlebt haben, lest ihr nun hier im ersten Teil meines Abenteuerberichts.


Welchen Wert hätte das Leben ohne seine Träume?


(…) welchen Wert hätte das Leben ohne seine Träume?“ Dieses berühmte Zitat stammt von dem norwegischen Polarforscher Fridtjof Nansen. 1893 brach er mit der Fram, jenem bekannten Schiff, welches heute im Polarschiffmuseum in Oslo im Original besichtigt werden kann, dazu auf, den Nordpol zu erobern. Eingeschlossen vom Packeis im Drift mit der Fram über das Eis, den geographischen Nordpol um hunderte von Kilometern verfehlend und ihn mit Hunden und Schlitten doch noch versuchend über das Eis zu erreichen, kehrte Fridtjof Nansen erst nach drei Jahren und ebenso vielen Überwinterungen im Eis zurück nach Norwegen. Nach einer abenteuerlichen Fahrt und elendiger Plackerei, mit welcher die Grenzen des seinerzeit denkbar Möglichen weit hinter sich gelassen wurden. Seine Aufzeichnungen waren Grundlage seines Buches „In Nacht und Eis“, welches mit eben jenem, oben genannten Zitat endet.

Aber welchen Wert hätte das Leben ohne seine Träume?

Fridtjof Nansen, norwegischer Polarforscher und Friedensnobelpreisträger (1861 – 1930)

Zwar war mir die Geschichte von Fridtjof Nansen durchaus bekannt, nicht jedoch aus seinen eigenen Überlieferungen. So verwarf ich noch mal meine Überlegungen eine fiktive Geschichte in arktischen Gefilden – das zweifelsohne sicher auch gute Buch „Im Eis“ von Vincent Voss – auf die geplante Tour mitzunehmen und besorgte mir die Aufzeichnungen von Nansen selbst.

Am Mittag des 26. März ging mit eben dieser Lektüre mein Flug. Von München nach Oslo, wo Chris und ich noch am Abend die restliche Ausrüstung für unsere Winterquerung der Hardangervidda in Empfang nehmen und packen sollten. Tags darauf würde es mit dem Bus Richtung Haukeliseter gehen – unserem Startpunkt für die Tour. Bei übrigens recht mildem Wetter. Tagsüber war für Haukeliseter, was einige hundert Höhenmeter unterhalb des Plateaus im Tal liegt, eine Temperatur von rund 1 bis 2 Grad angekündigt, nachts um die minus 10 Grad. Oben auf dem Plateau sollte es dahingegen geringe Minustemperaturen tagsüber und nachts um die minus 15 Grad haben. Nach meinen Erwartungen also vergleichsweise mild. Aber ob das so bleiben würde? Wir würden es sehen…

Ich hab keine Angst vorm Fliegen, aber das Drumherum bis man eingecheckt ist und im Flieger sitzt, macht mir nicht gerade Freude. Wenn es etwas verursacht, dann ist es zuweilen eher Stress. So auch bei meiner Anreise. Nun war ich zwar anderthalb Stunden vor Abflug am Flughafen und konnte auch meinen 80 Liter fassenden Expeditionsrucksack, der von einer Rolle Frischhaltefolie umwickelt so aussah als würde er jeden Moment auf einen riesigen Dönerspieß gesteckt und drehend gegrillt werden, zügig abgeben, doch sprengte die Schlange am Security Check dann doch die Grenzen meiner zumeist grenzenlosen Vorstellung.

20 Minuten vor Abflug und vielleicht 5 Minuten bevor das Gate schloss, hatte ich den Security Check nach über einer Stunde Wartezeit dann doch endlich passiert und war auf den sprichwörtlich letzten Drücker in den Flieger hineingelangt. Nun saß ich da, auf Platz 27A gen Norwegen fliegend mit Aussicht am Fenster. Das Meer schon fast überflogen tauchten unter mir die ersten von hunderten von steinernen Eilanden auf, die mir an Norwegens südlicher Küste am Oslo Fjord schon wie aus einer anderen, eben jener nordischen Welt erschienen. Die Sicht fantastisch weit und in der Ferne bereits die ersten schneebedeckten Gipfel sehend, während die Sonne im Wasser des Oslo Fjords strahlend glitzerte, las ich die ersten Zeilen der abenteuerlichen Fahrt von Fridtjof Nansen und fragte mich, was Chris und mich wohl während der Überquerung der größten Hochebene Europas erwarten sollte…


Mit der Pulka durch den Großstadtdschungel


Nachdem ich nach der Landung meinen Rucksack abgeholt hatte, ging es mit dem Zug und der Metro zunächst zu Chris. Kurz die Sachen eingelagert und dann weiter ans andere Ende der Stadt, wo Alexander, ein Guide für Touren an den Nord- und Südpol oder aber auch nach Grönland, uns erwartete. Von ihm bekamen wir all die Ausrüstung, die wir für die Tour anmieten wollten:  Backcountry-Ski (übrigens mit dem Gesicht von Roald Amundsen drauf; er sollte uns also die ganze Zeit beim Laufen anschauen), Skistöcke, Aufstiegsfelle, Expeditionsskistiefel, die beiden Pulkas, Schlittensäcke, Benzinkocher nebst Benzin, Expeditionszelt, Gurtzeugs usw.

Alexander war schon ein supercooler Typ. Sehr entspannt hatte er auch einige Tipps für die bevorstehende Tour für uns auf Lager, checkte gemeinsam mit uns noch mal die Ausrüstung wie auch die Wetterbedingungen der kommenden Tage, die von einem aufziehenden Wintersturm kündigten und unseren Start später verzögern sollten.

Was dann folgte war zunächst ein ziemliches Geschleppe der Ausrüstung quer durch Oslo. Immerhin mussten wir von der einen Seite der Stadt zur anderen gelangen. Bei Schnee kein Problem. Da hätten wir alles auf die Pulkas geworfen und diese hinter uns hergezogen. So aber blieb uns nichts anderes als die beiden Pulkas ineinander zustellen, das gesamte Material nebst Ski auf der oberen Pulka festzuzurren und diese dann als leuchtend orange Krankenbahre quer durch Oslo zu tragen.

Unsere Arme wurden länger und länger. Wir scherzten bereits, dass dies womöglich der schwerste Teil der gesamten Tour werden würde. Und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass wir nicht bereits den Augenblick herbeisehnten, an dem wir die Pulkas in Haukeliseter aus dem Bus heraus- und direkt in den Schnee ziehen würden. Dabei war der Großteil der Ausrüstung ja noch gar nicht auf den Pulkas verstaut und noch bei Chris zuhause. Spannend würde es vermutlich also erst am kommenden Tag werden, wenn die zum Tragen ziemlich unhandlichen Pulkas voll beladen mit rund 30 Kilogramm Ausrüstung, zum Busbahnhof von Oslo befördert werden müssen. Wir überlegten am Abend noch lange, ob wir uns ein Großraumtaxi bestellen oder die Sachen zu Fuß und mit der Metro zum Busbahnhof bringen sollten: wir entschieden uns für die zweite Variante. Es war zwar nach wie vor ein irres Geschleppe, doch konnten wir einen Teil unserer Ausrüstung auch in unseren Expeditionsrucksäcken verstauen und somit das Gewicht der Pulkas zumindest im Transport so gering halten, dass es eben nicht höher war, als am vergangenen Abend.


Der Start verzögert sich…


Die Busfahrt gen Westen nach Haukeliseter am nächsten Morgen verlief reichlich unspektakulär. Nach rund 280 Kilometern und 5 ½ Stunden waren wir am Südrand der Hardangervidda angekommen. Hatte es in Oslo noch frühlingshafte Temperaturen gehabt, blies hier bereits ein rauer Wind bei Temperaturen um die 0 Grad. Die ersten Ausläufer des Wintersturms nahten und fegten losen Schnee und Eiskristalle über das schneebedeckte Land. Nördlich von uns der Anstieg zum Hochplateau.

Don’t go in the storm if you don’t have to.“ sagte die unbekannte Dame an der Rezeption der bewirtschafteten Berghütte von Haukeliseter. Den Ratschlag beherzigten wir gerne. Ohnehin hatten wir uns nach dem Wettercheck am gestrigen Nachmittag bereits darauf eingestellt, eine, wenn nicht sogar zwei Nächte hinter den schützenden Wänden der Haukeliseter Fjellstue zu verbringen und den Wintersturm auszuharren. So buchten wir uns zunächst für eine Nacht im Schlafsaal der Hütte ein, während der Sturm draußen in immer heftigeren Böen blies. Es sollte sich als gute Entscheidung herausstellen, in der Hütte zu bleiben. 


Tag 1: Von Haukeliseter bis Haukelifjell (6 km)


Nach einem großartigen Frühstück in der Haukeliseter Fjellstue und einer erholsamen Nacht – ich hatte unwahrscheinlich schlecht geschlafen die Nacht vor der Busfahrt nach Haukeliseter und Chris war es ebenso ergangen – erreichte der Wintersturm am Vormittag des nächsten Tages seinen Höhepunkt. Die Böen fegten mit Geschwindigkeiten um die 120 km/h über das Land, Windstärke 12. Wir waren mehr als froh, nicht am Vortag aufgebrochen zu sein.

Ab Mittag ließ der Sturm deutlich nach. Die Windgeschwindigkeit ging rapide und vor allem spürbar herunter. Während der Sturm sich beruhigte, wurden wir unruhiger. Es juckte uns ehrlich gesagt ein Stück weit in den Fingern. Wir wollten endlich vom Südrand des Plateaus aufbrechen und gen Norden wandern. Beinahe im Halbstundentakt hatten wir die Wettervorhersage überprüft, welche weiterhin abnehmende Windgeschwindigkeiten und für die kommenden Tage sinkende Temperaturen bei sonnigem Wetter für das Hochplateau prophezeite. Unsere Pulkas waren schnell gepackt und so brachen wir um 15 Uhr auf. Die ersten Schritte mit Pulka und auf Backcountry-Ski.

Die Pulka, die über ein ca. drei Meter langes Seil an einem gepolsterten Gurt, den wir uns als Zuggeschirr um die Hüften legten, befestigt wurde, ließ sich überraschend gut ziehen. Das schien mir weniger anstrengend als gedacht. An die Backcountry-Ski würde ich mich allerdings noch gewöhnen müssen, waren sie doch weder ein reiner Langlauf- noch ein Tourenski. Irgendwie so ein Mittelding mit kurzen Fellen und Stahlkanten. Hinzu kam, dass wir frischen Schnee, den sog. Powder, aufgrund des heftigen Sturms nur in Verwehungen auffinden konnten und auf teils blanken Eisflächen oder vollends verharschtem Schnee zu gehen hatten. In den vergangenen Tagen hatte es geringe Plusgerade in der Hardangervidda gehabt und auf die zuvor pulvrige Schneedecke geregnet. Durch die nun sinkenden Temperaturen war eine harte, vereiste Schicht entstanden, die uns beinahe die gesamte Querung begleiten sollte. Spannend war das, wie wir alsbald feststellen sollten, vor allem im steileren Auf- und Abstieg.

Im Aufstieg war ab einer bestimmten Steigung nämlich an ein Vorankommen ohne Harscheisen, die wir eben nicht dabei hatten, teils nicht mehr zu denken. Wir konnten die Ski dann nur abschnallen und zu Fuß den Berg hinauflaufen. Die Herausforderung in der Abfahrt bestand dahingegen darin, die Pulka irgendwie so unter Kontrolle zu halten, dass sie nicht direkt an uns vorbeischoss und uns mit ihrem Gewicht von den Beinen holte. An eine „rassige“ Abfahrt war da nicht zu denken und anfangs fühlte sich das eher so an, als würde ich eine der ersten Skiabfahrten meines Lebens machen. Eine mehr oder weniger kontrollierte Abfahrt in Pflugstellung war da die einzige mögliche Devise.

Irgendwie hatte ich bei der Vorbereitung der Tour immer daran gedacht, dass wir die Pulkas ziehen würden. Doch genau dieser Gedanke kehrte sich bei den Abfahrten auf dem verharschten Schnee und den Eisflächen vollkommen ins Gegenteil. Die Schlittenwanne mit ihren 30 Kilo Lebendgewicht raste in der Abfahrt nur so an uns vorbei und sofern sie uns nicht bereits in den Momenten, in denen sie uns überholte, umriss, kamen wir spätestens dann zum stürzen, wenn sich das zu unserem Zuggeschirr führende Seil fest spannte und die volle Last der beladenen Pulka unseren Körper ruckartig Richtung Hang riss. Dumm also, dass die Pulka auch bei der Abfahrt an uns dran hing, oder vielmehr umgekehrt: wir hingen in der Abfahrt an der Pulka dran. Das war schon spannend und bedurfte erst mal einer eigenen Technik.

Wir wurden kreativ. Vom einfachen Laufenlassen über das Draufsetzen bis hin zum Führen an kurzem Seil probierten wir alles aus. Letzteres erwies sich dann zumindest als die am meisten kontrollierbare Technik. Und die verfeinerten wir in den kommenden Tagen nach und nach. Irgendwann sah das dann sogar wie Skifahren aus. Anfangs hingegen freilich eher so, als führten wir einen riesenhaften bissigen Hund an der kurzen Leine, der einer imaginären Beute den Abhang hinterherjagte und, wenn wir dann endlich zu Fall kamen, uns wie in einem Looney-Tunes-Zeichentrick hinter sich herzog.

Dem Spaß tat dies erstmal keinen Abbruch. Glücklicherweise war die Anzahl an Abfahrten am ersten Tag allerdings auch recht knapp bemessen. Von Haukeliseter aus führte uns unsere Route, unterbrochen durch einige wenige Abfahrten im Höhenprofil, zunächst erstmal einige hundert Höhenmeter hinauf auf das Plateau ins Haukelifjell.

In einem weiten Bogen über Osten, dann gen Norden ziehend, versuchten wir den ersten Anstieg zu überwinden und ließen nach wenigen Kilometern bereits Haukeliseter und die Straße hinter uns. Da lag sie nun: eine schier endlose Weite aus Schnee und Eis. Hohe, wenn auch eher sanft geformte Berge um uns herum. Gigantische Schneewechten wölbten sich über ihre Grate. Wir kamen uns winzig vor, doch war es auch so großartig in dieser Landschaft und Weite laufen und eben auch überhaupt sein zu dürfen.

Alsbald schlugen wir eine nordwestliche Richtung ein. Über den ersten von vielen dutzenden gefrorenen Seen, die wir in den kommenden Tagen noch passieren sollten. Nun auf ebener Fläche laufend und den geschützten Hang hinter uns, bliesen uns die letzten Ausläufer des Wintersturms, der aus Nordwesten herangezogen war, entgegen und erschwerten und das Vorankommen.

Wir stoppten nach knapp über 6 Kilometern gegen 18 Uhr an einem kleinen namenlosen See, an dessen vereisten Westufer wir unser Expeditionszelt mit der kurzen Seite gegen den Wind aufbauten. Ein Palast für eigentlich 4 Personen, der in der Weite der Landschaft dennoch vollkommen unterging. Irre! Genauso hatten wir uns das vorgestellt. Was für ein Abenteuer! Fernab von der Zivilisation, fernab von anderen Leuten, Gebäuden und Städten – und zu extremen Bedingungen. Dabei war es noch gar nicht so kalt. Gerade mal minus 8 Grad zeigte mein Thermometer. In der ersten Nacht sollten es minus 14 Grad werden.

Nachdem wir einen Kältegraben im Vorzelt unseres Expeditionszeltes ausgehoben und die Seiten des Außenzeltes mit jeder Menge geschaufeltem Schnee beschwert hatten, riefen und tanzten wir zunächst die Freude über unseren mehr als großartigen Schlafplatz heraus. Es gibt einfach Momente, in denen ich wahnsinnig dankbar für all die Freiheiten bin, die unser großartiges Leben uns bietet und die wir in dem Bewusstsein genießen dürfen, dass sie nicht selbstverständlich, sondern ein großes Geschenk sind. Und Chris erging es in diesem Moment genau wie mir.

Nachdem das Lager eingerichtet und wir uns angesichts dessen, dass wir uns nicht mehr in der wärmenden Bewegung befanden, zum Schutz gegen die weiter sinkenden Temperaturen deutlich dicker eingepackt hatten, kümmerten wir uns um das Abendessen und schmolzen den ersten Schnee. Eine langwierige Aufgabe… geschlagene 30 Minuten dauerte es bis wir einen Liter kochenden Wassers gewonnen hatten. Das würde uns die nächsten Tage noch ordentlich beschäftigen. Alleine nur um unsere Trinkwasservorräte stetig aufzufüllen. Da wir das Wasser alleine für Trinkwasser nicht unbedingt kochen, sondern den Schnee nur schmelzen brauchten, sollte es hoffentlich jedoch etwas schneller gehen.

Tag 1 – This is the beginning!“ stand in großen Lettern auf meinem Essensbeutel. Von jenen hatte ich mir für jeden Tag der Tour einen gepackt und eine eiserne Reserve an Lebensmittel obendrauf. Rund 3.500 bis 3.800 Kalorien steckten in jedem Beutel. Allerdings müssen die auch erst mal gegessen werden. Ich verrate sicher nicht zu viel, wenn ich euch sage, dass ich irgendwann auch einfach nichts mehr essen konnte. Heute war dem aber nicht so: eine Doppelpackung Nudeln in einer Mozzarella-Tomatensauce, anschließend ein Kaffee, ein Snickers und später als zweiter Nachtisch, bereits in meinem Schlafsack liegend, eine ganze Tüte Haribos.

Nur langsam verschwand die Sonne hinter der westlich von unserem Lagerplatz gelegenen Kuppe. Die eisige Landschaft wurde nach und nach mehr in gedämpftes, weicheres Licht getaucht und im Osten färbte sich der Himmel bereits in purpurnen Tönen. Es wurde merklich kälter, während wir draußen noch eine Weile das Farbenspiel am Himmel betrachteten. Es ist verrückt, welche Wärme alleine der Anblick der Sonne zu spenden vermag oder auch, welche Kälte anheim kommt, wenn diese nicht mehr zu sehen ist… Minus 12 Grad war es bereits und wir verschwanden mit der einbrechenden Dunkelheit komplett im Zelt und zogen uns in die hoffentlich wärmenden Schlafsäcke zurück. Mein Schlafsack! Ein Grüezi Bag! Das Top-Produkt der Reihe mit der Bezeichnung „Biopod Down Hybrid Ice Extreme 190 W“, den mir die oberbayerische Schlafsackmarke Grüezi Bag zur Verfügung gestellt hat. Ich wollte ihn auf der Tour einem ausgiebigen Test unterziehen und war irre gespannt wie er sich bei den Minustemperaturen, die wir zu erwarten hatten, schlagen würde. Dazu in Auszügen aber mehr im Bericht vom kommenden Tag und später natürlich in einem ausführlichen Produkttest.


Tag 2: Von Haukelifjell bis Hellevasbu (18 km)


Die Rentierkröte! Fabelwesen der Hardangervidda! Eine Kreatur tierischer Gestalt, halb Rentier, halb Kröte, die vermutlich aus Sagen entstammt, die noch viel älter als jene der nordischen Mythologie sind… Okay, jetzt wird’s abgehoben, Spaß beiseite. Dennoch drehten sich am Morgen unsere Gespräche um die krötenartigen Laute, die wir in der Nacht nicht weit von unserem Zelt vernommen hatten, aber alles andere als zuordnen konnten. Da es abgesehen von Polarfüchsen, Lemmingen, Rentieren und ein paar Vögeln in der Hardangervidda jedoch kaum ein Leben zu dieser Jahreszeit gibt, war die einzig sinnvolle (oder eben sinnfreie) Erklärung, dass wir einer neuen Art oder aber einem Fabelwesen wie dem Yeti auf die Spur gekommen waren 😉

Zuvor hatten wir übrigens echt lange geschlafen. Ich war am Vorabend gegen 22 Uhr in meinem Grüezi Bag auf einer Kombination von zwei Therm-A-Rest-Matten – zum Schutz gegen die Kälte von unten einer aus Schaumstoff sowie einer aufblasbaren – eingeschlafen. Übrigens nur kurze Zeit nachdem ich den Fußbereich des Schlafsacks über das darin integrierte Carbon-Heizelement auf eine sehr angenehme Temperatur vorgeheizt hatte. Der Biopod Down Hybrid Ice Extreme hat im Brustbereich eine Innentasche, hinter der sich ein USB-Anschluss für den Betrieb des Heizelements im Fußbereich mit einer handelsüblichen Powerbank befindet. 20 Minuten laufen lassen und schon wird es angenehm warm.  

Rein wissenschaftlich verengen sich bei Kälte die Gefäße in den äußersten Gliedmaßen, also in Fingern und Zehen bzw. den Händen und Füßen deutlich schneller als am sonstigen Körper. Bei mir nimmt das manchmal ein gefühltes Rekordtempo und bedenkliche Ausmaße an. Und da ein Schlafsack letztlich nur die Wärme speichern kann, die der Nutzer selbst im Schlafsack entwickelt, ist das unter den vorgenannten Gesichtspunkten insbesondere im Fußbereich meist (m)ein Problem. Das Heizelement war da natürlich perfekt, um schnell warme Füße zu bekommen.

Die Kälte hat mir übrigens auch in der Nacht alles andere als zu schaffen gemacht. Ich hatte es wohlig warm. In Erwartung dessen, dass die Nacht trotz eines mutmaßlich guten Schlafsacks kalt werden würde, trug ich einige Lagen Merinowäsche im Grüezi Bag: eine kurze Merinoshorts unter einer langen Merinounterhose, dünne Liner-Socken aus Merino unter isolierenden Merino-Winter-Socken größter Stärke, oben herum ein langärmliges Merinoshirt, darüber eine warme Fleecejacke. Während Chris in deutlich dickerer Montur, u.a. mit zusätzlicher Daunenjacke, in seinem Schlafsack fröstelte, legte ich nach und nach ein Teil nach dem anderen ab bis ich schlussendlich nur noch eine Lage Merinowäsche anhatte. Unglaublich was der Grüezi Bag an Wärme speicherte!

Als ich am Morgen aus dem Zelt heraustrat, in tiefgefrorenen Schuhen und ansonsten jener Klamotte, die ich gerade noch beschrieben hab, war es umgangssprachlich saukalt. Ein leichter Wind blies von Westen über das Hochplateau, auf dem wir unser Lager aufgeschlagen hatten. Er wirbelte winzige Schneeflocken und Eiskristalle auf und riss diese mit sich in die endlose Weite, die sich nach Osten hin auftat. Die Sonne stand knapp über den Bergen im Osten, vermochte jedoch noch nicht das wärmende Gefühl hervorzurufen, dass sie am Vortag gespendet hatte.

Während ich draußen in Kreisen mit mal kleineren, mal größeren Abständen um das Zelt lief und so versuchte mich einigermaßen auf eine Temperatur zu bringen, die mich nicht gleich frieren ließ, versuchte ich etwas Schnee für das Frühstück zu schmelzen. Erstaunlicherweise gelang es mir überraschend schnell den Benzinkocher in Gang und einen knappen Dreiviertelliter Wasser zum Kochen zu bringen. Das durfte fürs Frühstück, das bei mir aus einem selbstgemischten Müsli bestand, erstmal reichen. Chris ernährte sich übrigens weitestgehend von Haferflocken. Am Morgen in einer eher süßen Variante, am Abend mit Tütensuppe. Da das natürlich noch nicht genug Hafer sein konnte, hatte er für dazwischen dann auch noch Haferkekse eingepackt. Ein paar „Specials“ gab es aber auch bei ihm – in Form der obligatorischen Tüte Weingummi für jeden Tag – Chris und ich verstehen uns da sehr gut – sowie eine ganze Vielzahl an Wraps mit Hummus, Käse und Schinken. Letztere waren übrigens die ganze Tour hindurch schockgefrostet und irgendwie eher zum Lutschen als zum Essen geeignet.

Um kurz nach 10 Uhr brachen wir auf. Das gesamte Equipment war einigermaßen schnell zusammengepackt und selbst unser Zeltpalast ließ sich ohne große Mühen in seinem Packsack, der anschließend in meine Pulka gestopft wurde, verstauen. Der Schlafsack oben drauf und los ging es!

Der Himmel strahlte bis auf wenige Wolken blau und die Sonne war etwas weiter über die Berge gestiegen.  Dennoch war und blieb es einfach eiskalt, vor allem wenn wir nicht mehr auf Betriebstemperatur waren, die das Laufen und das Ziehen der Pulka mit sich brachte. Glücklicherweise ging es gleich zu Tagesbeginn bergan. Und glücklicherweise passierte direkt, als wir unsere Ausrüstung in den Schlitten luden, die Norwegerin Emma unseren Weg und überzeugte uns schnell davon, gar nicht erst versuchen zu wollen, den Anstieg auf Ski anzugehen. Emma querte ebenfalls die Hardangervidda und war am heutigen Morgen in der Frühe aus Haukeliseter gestartet. So bretthart und vereist wie der Boden war, verzichtete Emma auf ihre Ski und zog die Pulka gleich direkt zu Fuß hinter sich her. Davon inspiriert banden auch wir die Ski direkt auf die Schlitten und starteten ebenfalls zu Fuß. Mit den Backcountry-Ski mit ihren kurzen Fellen darunter sind wir schon am gestrigen Tage in den steileren Passagen nur mühselig bergan gekommen.

Der Umstieg war eine mehr als gute Entscheidung. Der gesamte Boden kam einem regelrechten Eispanzer gleich. Die Sonne vermochte so früh am Tag kaum die oberste Schicht aufzutauen, so dass an ein Skilaufen bergan kaum zu denken war, und so stiegen wir, die Pulkas hinter uns herziehend, in Richtung des ersten Sattels auf. Dahinter tat sich gen Norden eine vollkommen andere Perspektive auf. Klar, das Land bestand ebenfalls aus Eis, Schnee und Fels, aber die neue Perspektive allein brachte bereits Abwechslung.

Von nun an ging es erst mal steil abwärts. Oben auf dem Sattel waren wir wieder auf die Ski umgestiegen. Das stellte sich allerdings als keine gute Entscheidung heraus. Denn nun zogen uns auf dem verharschten steilen Abhang wieder die Pulkas statt umgekehrt und rissen uns ziemlich schnell von den Ski. An den Ufern eines zugefrorenen Sees, dem Mannevatn, schnallten wir daher alles wieder ab und ließen die Pulkas mit den daraufgebundenen Ski fortan an der langen Leine vor uns den Berg hinab.

Erst an einem weiteren langgezogenen See, dem Armovatni, schnallten wir die Ski wieder an. Die steilen Passagen hatten wir nun hinter uns. Der Boden war zwar unverändert, entweder vereist oder verharscht, doch war es fortan weitestgehend flach oder nur leicht ansteigend.

Nur in wenigen Schneeverwehungen hinterließen wir eine Spur. Dennoch war die Orientierung kein Problem. Die Spuren einiger Vorgänger waren als feste Gebilde im harten Eisboden unübersehbar. Hinzu kam, dass bereits einige Wegabschnitte mit großen Birkenzweigen, die bereits vor einiger Zeit in den Schnee gesteckt worden sein mussten, markiert waren. Bei der weiten Sicht, die wir hatten, sollten wir auch für den Rest des Tages mit der Orientierung keine Probleme haben.

Der Armotvatni war der erste größere von mehreren zugefrorenen Seen und Wasserläufen, die wir auf vereister Oberfläche auf unserem Weg Richtung Norden entlanglaufen sollten. Rund 9 Kilometer folgten ihm und den Flüssen, die ihn im Sommer von weiter oben über die Seen von Midnuvatnet und Simnletindvatnet speisen würden. Die Landschaft hier im Westen der Hardangervidda kam teils noch dramatisch bergig daher, viel gebirgiger als ich das erwartet hatte. Wunderschön! Der Wind wurde derweil stärker und wir hatten zuweilen gut gegen ihn anzukämpfen um vorwärts zu gelangen. Das kostete uns Zeit. Bis zum Nachmittag um 16 Uhr hatten wir gerade mal 13 Kilometer geschafft. Etwas mehr wie 2 Kilometer in der Stunde… Naja, unser Topspeed war wohl noch ausbaufähig.

An einer kleinen verschlossenen Hütte namens Knudsbu machten wir im Windschatten mit Blick gen Süden eine kurze Rast. Die erste. Ein halbgefrorenes Snickers – es befand sich in der Innentasche meiner Jacke – ein tiefgefrorener Wrap – er befand sich auf Chris Pulka – und ein Schluck Wasser aus einer Flasche, in der sich beinahe mehr Eis als flüssiges Wasser befand. Mehr wie 10 Minuten waren es nicht. Die Momente, in denen man nicht läuft, waren einfach zu kalt und so brachen wir alsbald wieder von der Hütte auf, vor der eine Vielzahl Rentiergeweihe lagen.

Meine Hände waren durch die kurze Pause bereits taubgefroren und vermutlich jegliches Blut aus ihnen entschwunden. Mühselig versuchte ich mit steif gefrorenen Fingern ein paar Handwärmer, die sich an der Luft aktivieren und für bis zu 10 Stunden Wärme liefern, in meine dickeren Handschuhe zu friemeln. Das kam schon einem ziemlichen Akt gleich und es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis ich aus der Kombination von Handwärmern und deutlich höher getakteten Bewegung endlich wieder ein Gefühl in die erst tauben, danach schmerzenden Hände bekam.

Unsere Route führte uns weiter gen Norden. Entlang des Flußes Borda stiegen wir in Richtung des Passes Sudskar auf. Tiefstehende graue Wolken zogen auf und es begann zu schneien. Die Sicht wurde merklich schlechter. Doch irgendwie empfanden wir das als willkommene Abwechslung. Der Wind blies derweil unentwegt über die Passhöhe und wirbelte weiter Schneeflocken und Eiskristalle über den hartgefrorenen Grund.

Kurz danach war alles schon wieder vorbei und die Wolken verzogen sich. In der Ferne, jenseits des Sees Ovre Hellevatn, sahen wir Hellevasbu, eine Ansammlung von drei Hütten des DNT, dem norwegischen Wanderverein. Hellevabsu ist nicht bewirtschaftet, doch hatten wir den Winterschlüssel für die nichtbewirtschafteten Hütten des DNT dabei und die Aussicht auf eine Übernachtung in vier Wänden ließ uns in Anbetracht des kalten Windes frohlocken.

Den zunächst erforderlichen Abstieg von der Passhöhe meisterten wir, indem wir die Pulka zwischen die Beine nahmen, uns darauf setzen und die knapp 100 Höhenmeter unkontrolliert zu Tale schossen. Zwar konnten wir die Pulka mit uns darauf weder stoppen, noch irgendwie lenken oder gar abspringen, aber der See bot zumindest in Gedanken genügend Auslauffläche um diese Risiken in Kauf zu nehmen.

Um knapp 18 Uhr waren wir in Hellevasbu angelangt. Der Winterschlüssel: nicht notwendig. Emma war bereits in der Hütte und hatte den Kamin mit ordentlich Holz befeuert, so dass es angenehm warm drinnen war! Heute Nacht durften wir außerhalb der Komfortzone dann doch überraschend viel Komfort genießen…

Tag 2 – Keep smiling!“ stand auf meinem Essensbeutel für den heutigen Tag. Ein Ausspruch, den vermutlich eher Chris beherzigen durfte. Er hatte sich am heutigen Tag die Hacken komplett wund gelaufen. Kurzzeitig muss er an beiden Hacken eine Blase gehabt haben. Von dort aus hatte er sich durch das ständige Scheuern beim Skilaufen große Teile der Haut an beiden Hacken heruntergelaufen. Wunde, blutige Stellen, die die Größe eines 5 Mark Stücks deutlich überschritten und die selbst von den größten Blasenpflastern in unseren Erste-Hilfe-Sets nicht mehr abgedeckt werden konnten.

Am schlimmsten kam jedoch die Desinfektion mit Alkohol. Chris schmerzgequältem Gesicht und den Zuckungen nach, die seinen Körper durchliefen, konnte man ohne Weiteres eine Schlussfolgerung entnehmen: Wenn etwas brennt, dann Klosterfrau Melissengeist! Zuerst dachte ich, dass Chris gleich abklappt, aber dann ließ der Schmerz offenbar doch von ihm ab und er verband sich großzügig die Füße, nachdem er Jod als weiteres Antiseptikum auf die Wunden aufgetragen hatte. Bei mir schaute dahingegen noch alles gut aus. Zwar hatten sich auch bei mir an beiden Hacken Blasen entwickelt, aber das war bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts, um das ich mich groß sorgte.

Nach dem Abendessen krochen wir alsbald ins Bett. Ich vermochte mich kaum noch daran zu erinnern, ob es lang gedauert hat, bis ich eingeschlafen bin. Offenbar nicht. Ich muss ziemlich platt gewesen sein. Dennoch wachte ich immer wieder auf in der Nacht und hatte einen unruhigen Schlaf.


Tag 3: Von Hellevasbu bis Ambjorgsvatnet (24 km)


Am nächsten Morgen war ich gerädert. Der Schlaf in der Hütte in einem richtigen Bett war weniger erholsam als gedacht. Half aber nichts! Wir standen ja noch am Anfang der Tour und bei der Geschwindigkeit, die wir gestern an den Tag gelegt hatten, würden wir heute Mühe damit haben bis wenigstens in knapp über 20 Kilometer entfernte Litlos, einer weiteren Hütte des DNT, zu kommen. Bestenfalls wollten wir aber auch darüber hinaus gelangen.

Die Sonne schien durchs vereiste Fenster. Offenbar hatte es draußen einen strahlend blauen Himmel. Nicht eine Wolke war zu sehen. Während ich nach dem Blick durchs Fenster nach draußen in die Eiseskälte trat, war Emma bereits dabei ihre Sachen auf die Pulka zu wuchten. Sie wollte früh aufbrechen, um an die 30 Kilometer zu laufen… „Verrückt“, dachte ich mir. Aber den Norwegerinnen liegt der BackCountry-Skilauf mit Pulka sicher im Blut. Es war jedenfalls nicht die erste Tour der ehemaligen Soldatin mit Schlitten im Gepäck.

Das Wetter dürfte Emma’s Plänen vermutlich nicht im Weg stehen. Es war zwar eiskalt, aber im großen Gegensatz zu gestern war es beinahe windstill. Ich hoffte, dass uns dieser Umstand das Vorankommen auch vereinfachen würde. Hatte ich gestern übrigens noch in Frage gestellt, ob Chris überhaupt weiterlaufen können würde, machte ich mir diese Gedanken am heutigen Tage nicht mehr. Für ihn kam überhaupt nicht in Frage, den Rückweg anzutreten. Schlimmer konnte es an den Hacken ja eh nicht werden. Also klebte er beide Wunden großflächig mit Blasenpflastern ab und biss die Zähne zusammen. Später sollte sich herausstellen, dass es sich mit wunden Hacken und polsternden Blasenpflastern darüber sogar einigermaßen schmerzfrei Skilaufen ließ, wenn man denn keine andere Möglichkeit hatte. Schlimmer kamen die Momente, in denen man sich nicht mehr auf Ski sondern zu Fuß bewegte.

Wir frühstückten noch in der Hütte. Chris seinen Haferflockenmix, bei mir gab es Schokoriegel und einen warmen Käse-Schinken-Griesbrei. Als deftige Frühstücksvariante hatte ich mir den zuhause u.a. aus Gries, getrocknetem Parmesan, Gemüsebrühe, Röstzwiebeln und Trockenfleischstücken zusammengemischt. Und er schmeckte überraschend gut. Besser zumindest wie das Müsli am Vortag. Allerdings bin ich auch kein Müsli-Fan.

Kurz nach 10 Uhr brachen wir auf. Das Höhenprofil unseres GPS-Tracks verriet uns, dass das Gelände bis Litlos noch mit einigen Auf- und Abstiegen aufwarten sollte. Anschließend würde es in den östlicheren Teil der Hardangervidda gehen, in dem das Gelände mehr und mehr verflachen sollte.

Nachdem die Schlitten gepackt, die Ski an die Füße geschnallt und das Zuggeschirr angelegt waren, zog es uns zunächst in einem Bogen ansteigend über Nordosten an einer Bergkette vorbei. Was hatten wir doch für ein Glück! Die Aussicht war grandios! Solch eine Weite! Und abermals keine Schwierigkeiten mit der Orientierung. Solange kein Schnee fiel, konnten wir den Spuren unserer Vorgängerinnen und Vorgänger vermutlich ohne Weiteres folgen. Zudem war die Route abermals mit Birkenzweigen abgesteckt.

Während abertausende von Eiskristallen auf dem Boden durch das Sonnenlicht wie unzählige Diamanten funkelten, kamen wir im Anstieg schnell auf Betriebstemperatur und auf den Ski gut voran. Die Zeit verging wie im Flug und wir liefen wie im Rausch. Mehr wie drei Kilometer in der Stunde. Irgendwie glitten Ski und Pulka heute deutlich besser und das Terrain kam uns mehr entgegen. Die Anstiege waren flacher und das Gelände insgesamt nicht durch das stete Auf und Ab der beiden Vortage geprägt.

Dass wir den Fluß Bjorno passierten, bekamen wir überhaupt nicht mit. Die Wasserläufe waren wie auch die Seen allesamt zugefroren und von vermutlich meterdicken Eis- und Schneeschichten bedeckt.

Im Abstieg hinunter ins Tal Kvennedalen und zum See Kvennsjoen wurde es noch mal steil. Unsere Technik in der Abfahrt war zwar besser geworden, dennoch schnallten wir die Ski ab und gingen zu Fuß die knapp 150 Höhenmeter zum Seeufer hinunter. Die Pulka ließen wir dabei erneut am langen Seil vor uns hinab. Zu Fuß und nicht auf Ski, hatte sich das auf dem harten Untergrund als beste Variante herausgestellt.

Der Kvennsjoen war der längste See, den wir bislang queren sollten. 2,5 Kilometer von einem zum anderen Ende. Auf der platten vereisten Seeoberfläche kamen wir zwar schnell vorwärts, doch ging jegliches Gefühl für Entfernungen in der gigantischen Landschaft und Weite, in der wir uns hier mutterseelenallein bewegten, verloren. Glaubten wir das andere Ufer in dem einem Moment nur wenige hundert Meter und wenige Minuten entfernt, so stellte sich heraus, dass wir einfach kaum näher kamen und noch über einen Kilometer und nicht ganz eine halbe Stunde davon entfernt waren. Etwa 15 Kilometer hatten wir seit dem Start am Morgen bereits zurückgelegt. Ohne Pause. Die wollten wir am anderen Seeufer einlegen, doch es kam und kam kaum näher.

Irgendwann hatten wir das Ufer doch erreicht und stiegen auf ein wenige Meter höher gelegenes Plateau hinauf. An einem Felsen, der mitten im Nirgendwo dieser Weite aus dem Schnee herausragte, hielten wir. Wir schnallten Ski und Pulka ab und machten auf dem Fels eine längere Pause. Stille… einsame Stille… Es war unglaublich. In jenen Momenten, in denen wir nicht über den verharschten Schnee liefen und Ski wie auch Schlitten ein kratzendes Geräusch von sich gaben oder aber die Stille auch durch unseren keuchenden Atem ob der Anstrengung unterbrochen wurde, war in dieser weiten, zuweilen monumentalen Landschaft einfach nichts zu hören. Nicht ein Geräusch. Absolute Stille…

Die längere Pause bedeutete, dass wir nach einer knappen Viertelstunde wieder aufbrachen. Und da begann es uns bereits zu frieren. Meine Hände wurden wieder taub. Ich sah zu, dass ich schnellstmöglichst wieder auf Betriebstemperatur kam. Da das einzig und allein gelingt, indem man mit hohem Tempo weiterläuft, machten wir genau das und hielten uns rechts vom Ufer eines weiteren Sees, dem Litlosvatnet. Im Nachhinein glaube ich, dass wir in diesen Momenten unsere beste Backcountry-Langlauftechnik zeigten. Auch wenn das niemand sehen konnte…

In Litlos machten wir Halt. Die DNT-Hütte lag einige Höhenmeter oberhalb des Ufers des Litlosvatnet und diese Höhenmeter galt es noch mal hart zu erkämpfen. Auf der Nordseite der Hütte, wo sich auch deren Eingang befand, entledigten wir uns der Pulkas wie auch der Ski. Der Eingang selbst war freigeschaufelt vom Schnee, daneben reichte er beinahe bis an das Dach der Hütte heran.

Die Hütte war seit Mitte März offenbar bewirtschaftet und innen drin war es wohlig warm. In der Gaststube setzten wir uns vor die breite Fensterfront. Die Sonne schien auf uns herein und wärmte uns schnell auf. Während Chris seinen Proviant um einige Tafeln Schokoladen erweiterte, von denen er gleich zwei Drittel genüsslich vertilgte, freute ich mich über einen heißen Kaffee und eine Limonade. Ich hatte viel zu wenig getrunken den Tag über. Dazu trug auch bei, dass wir kaum eine Pause machten. Nach wie vor war es einfach zu kalt, um längere Zeit draußen ohne eine wärmende Bewegung zu verweilen. Im Vergleich zum gestrigen Tag waren die Temperaturen auch gesunken. Heute Nacht erwarteten wir wenigstens minus 20 Grad.

Nach einer knappen Stunde brachen wir wieder auf. Nicht ohne den Moment zu verfluchen, an dem wir beim Betreten der Hütte die Schuhe ausgezogen hatten. Mit den wunden Hacken, auch bei mir fühlt es sich mittlerweile nicht mehr nach Blasen an, doch traute ich mich nicht die mehreren Lagen Socken auszuziehen, war es eine Qual wieder in die recht steifen Expeditionslanglaufstiefel zu steigen.

Nachdem wir die Stiefel dann doch endlich angelegt hatten, lief es allerdings wie am sprichwörtlichen Schnürchen. Wir schlugen von Litlos aus eine nordöstliche Richtung ein und kamen wahnsinnig gut vorwärts. Über Kälte wie auch Schmerzen blickten wir hinweg. Die Sonne näherte sich bereits sichtbar dem Horizont. Die Schatten wurden länger, das bislang harte Licht und auch die Farben am Himmel und in der Landschaft deutlich weicher. Es machte Spaß hier zu laufen. Die Dankbarkeit darüber, dies erleben zu dürfen, jubelten wir nur so aus uns heraus.

Wie im Rausch liefen wir noch gute 7 Kilometer in gerade mal zwei Stunden ehe wir gegen 19 Uhr in einem kleinen Talkessel nördlich des Sees Ambjorgsvatnet hielten. Das Zelt war schnell aufgebaut. Nach nur einer Nacht draußen waren wir bereits vollständig eingespielt im Lageraufbau. Während die Sonne hinter dem westlich von uns gelegenem Hügel verschwand und unser Lagerplatz in Schatten getaucht wurde, war auch der Kältegraben schnell gezogen und die Unterseite des Außenzelts mit Schnee beschwert.

„Tag 3 – Keep going!“ hieß es diesmal auf meinem Essensbeutel. Ich freute mich wie Bolle über die Doppelportion Nudeln in einer Käse-Brokkolisauce und den anschließenden wärmenden Tee. Seit die Sonne hinter der Hügelkuppe verschwunden war, wurde es jeden gefühlten Augenblick kälter. Die minus 20 Grad wurden schnell erreicht und während der Schnee über dem Benzinkocher schmolz und das gewonnene Wasser unendlich langsam zum Kochen brachte, tanzten, hüpften und liefen Chris und ich unentwegt um die Kochstelle herum, so sehr zog uns die Kälte in die Glieder.

Noch mehr als über das Abendessen, freute ich mich über die beiden Tüten Haribos, die wir nach dem Rückzug in die Schlafsäcke zwischen uns in den Ring warfen. Bis zum ersten Fruchtgummitier: einer Schildkröte aus der Haribo Phantasia Mischung. Es war als würde ich auf einen Stein beißen. Wenn die Haribos so kalt sind, dass man sie nicht mehr essen kann, dann ist es mit dem Spaß vorbei. So hatte ich zumindest immer gedacht… aber nachdem ich herausgefunden hatte, dass ich das Fruchtgummitier nur eine halbe Minute lutschen müsste, damit es einen Zustand erlangt, der nicht mehr härter wie die eigenen Zähne ist, war ich wieder beruhigt.

Die Halbwertszeit meiner Blasen war nach dem heutigen Tag tatsächlich auch vorüber. Wie Chris kämpfte ich nun mit großen offenen Wunden am Hacken. Während sich meine Begeisterung in Grenzen hielt, freute Chris sich wenigstens darüber, dass er den Schmerz einer Wunddesinfektion mit Klosterfrau Melissengeist nun teilen konnte.

Tausende von Sternen funkelten am dunkelblauen Firmament über unserem Zelt, während sich das Eis und der Schnee endlos weit und stumm in die Nacht hinaus um uns herum ausbreiteten. Und derweil wir lutschend versuchten die Weingummis im Zelt zu erwärmen, sanken die Temperaturen noch weiter. Zwar schirmte uns der Talkessel von etwaigen Winden ab, doch strömte die Kälte von den umliegenden Bergen auch zu uns herunter. Die kommende Nacht sollte offenbar der Härtetest für meinen Schlafsack werden.

Ich nahm sämtliche Elektronik mit in den Grüezi Bag hinein, ebenso auch die Wasserflasche, die seit dem Aufbruch in Litlos bereits beinahe vollständig gefroren war. Im Vergleich zur ersten Nacht vertraute ich übrigens auf zwei Lagen Merinowolle im Schlafsack und ein paar zusätzlicher Daunensocken…

So weit zum ersten Teil meines Berichts von der Winterquerung der Hardangervidda. Was wir an den übrigen Tagen erlebt haben, lest ihr im zweiten Teil meines Berichts.

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