12
Dez
2017

Tag 18 Taiharuru River bis Manaia (28 Kilometer)

So langsam vergesse ich total die Zeit und den Wochentag. Glücklicherweise weiß ich aber wenigstens noch wo ich bin. Axel meint ja, nach ein paar Monaten kommt bei so langen Touren der Augenblick, dass man morgens aufwacht und nicht mehr weiß, wo man sich gerade überhaupt befindet. Ich bin gespannt, ob ich dieses Erlebnis auf meinem ersten Long Distance Trail teilen werden. Davon ab zum Tag: der war lang, aber großartig. Wie vor ein paar Tagen gab es fantastische Aussichten zu sehen und ich habe am Abend in Grant und seiner Familie meine ersten Trailangels auf dem Te Araroa gefunden…

Die Etappe heute war die längste von allen bisher. Ich war insgesamt 10,5 Stunden unterwegs und das für gerade mal 28 Kilometer Gesamtstrecke. Aber: heute wurde auch erstmal die 1.000-Höhenmetermarke im Auf- und Abstieg geknackt. Kein Vergleich natürlich zu dem was mich noch im späteren Verlauf des Trails, insbesondere auf der Südinsel, erwartet, aber alles in allem war das nicht ohne.

Aufgebrochen bin ich am Morgen um 7:45 Uhr. Die Low Tide, die die Querung der Flussmündung des Taiharuru River auf knapp drei Kilometern durch Mangrovensümpfe und Wasser ermöglichen sollte, setzte gegen 9:15 Uhr ein. Da die Durchquerung des tieferen Flussbettes erst gegen Ende der drei Kilometer anstand, bin ich bei Nieselregen entsprechend frühzeitig aufgebrochen. Eine gute Entscheidung, denn nachdem ich mich mit Axel etwas mühselig knietief durch den Schlamm in den Mangroven gekämpft hatte, war ich etwa um 9 Uhr am Fluss selbst. Der Fluss führte zu dieser Zeit nur noch soviel Wasser, dass es an der Querungsstelle gerade bis knapp über die Knie gereichte. das eigentliche Problem kam eher erst danach, da es nochmals durch den Mangrovensumpf ging und ich bis zu den Knien wieder im Schlamm stand. Das vom Morgentau und vom Regen der vergangenen Nacht noch feuchte Gras auf der anderen Seite der Flussmündung half jedoch beim Notreinigen 😉

Der Te Araroa führte dann auf dem Kauri Mountain Track steil die ersten knapp 250 Höhenmeter des Tages auf eine Bergkuppe hinauf. Hier offenbarte sich bei tiefziehenden Wolken und der sich langsam zeigenden Sonne eine fantastische Aussicht auf den weiteren Trail, der nach dem Abstieg zunächst für neun Kilometer auf Meereshöhe den Ocean Beach Walk folgen sollte, um sich dann wieder in den Bergen um Bream Head erneut in die Höhe zu schrauben. Oben traf ich gemeinsam mit Christian und Jarkko auch noch auf zwei Amerikanerinnen aus Hawaii, die den Te Araroa ebenfalls laufen und heute in Pataua gestartet sind.

Der Abstieg vom Kauri Mountain Track zum Beach war problemlos. Unterwegs an der einzigen Wasserquelle des Tages noch meine Frischwasservorräte aufgefüllt, zumal ich dort noch davon ausging in den Bergen um Brae Head mein Zelt aufzuschlagen und dort partout nicht an Wasser zu kommen war.

Der Ocean Beach Walk entlang drei traumhaft schöner Strände war fantastisch. Das Wetter und damit auch Licht und Farben zeigten sich heute wahnsinnig abwechslungreich. Mal schien die Sonne, mal nieselte es und mal zogen auch einfach nur tiefhängende Wolken vor den Bergen am Horizont auf und verdeckten jegliche Sicht und ließen auch das türkisblau des Pazifik verblassen. An den Stränden selbst brachen sich donnernd die hohen Wellen.

Am Ende des Beach Walk machte ich am Fuße der Berge um Braem Head mit Sicht auf den steilen Anstieg zur einen Seite und dem rauschenden Meer zur anderen auf einigen Felsen zunächst eine längere Pause und nahm zur Stärkung einen Wrap zu mir und kochte eine Cappuchino. Dann machte ich mich an den steilen Aufstieg, der auf zwei Kilometern Strecke zunächst von Meereshöhe auf einen Gipfel auf 476 Metern hinaufführte.

Der Anstieg führte schweißtreibend zunächst über Grasland und ab 200 Höhenmetern dann durch erneut dichten subtropischen Wald. Teile des Aufstiegs auf dem wegen seiner Aussichten vermutlich beliebten sieben Kilometer langen Bream Head Track, für den laut den Tralnotizen insgesamt fünf bis sechs Stunden einzuplanen waren, führten auch über unzählige hölzerne Stufen.

Mal so richtig genervt haben mich im Anstieg auf den Fels doch tatsächlich meine Haare, die mir ständig ins Gesicht fielen und von denen die Schweißtropfen perlten. Mein letzter Friseurbesuch ist über drei Monate her und so langsam gelange ich echt an den Punkt, dass ich die Haare entweder abschneiden oder mir ein Haargummi besorgen muss 🙂

Nach etwas über einer Stunde hatte ich die zwei Kilometer geschafft und war auf einer Höhe von 446 Metern angelangt. Von hier führte inoffiziell noch ein kurzer schmaler Track und eine Kletterpassage in griffigem Fels auf einen Felsenturm zum eigentlichen Gipfel auf 476 Metern. Vor dem Erklettern des ausgesetzten Felsturmes, der knapp 20 Meter hoch sein dürfte, schnallte ich meinen Rucksack ab und ließ ihn Gebüsch liegen.

Wahnsinn, was für eine Aussicht von hier oben. Wer an dem kurzen Track vorbeigelaufen ist oder den Felsturm nicht hochgeklettert ist, hat wahnsinnig viel verpasst. Sicher eine der schönsten Aussichten in den Northlands und für mich persönlich mit dem wechselhaften Wetter und der tollen Lichtstimmung, die dieses bot, mit eine der schönsten Aussichten, die ich bislang erleben durfte. Der Blick schwenkte von der einen Küste mit dem Ocean Beach über das Bergmassiv mit seinen Felsentürmen, die aus dem bewaldeten Berg herausragten, zur anderen Küste bei Marsden Point. Hinter mir fiel der Turm ganze 476 Meter steil in die Tiefe und in das Blau des Pazifik hin ab.

Ich blieb eine ganze Weile bei dieser fantastischen Aussicht, schoß jede Menge Fotos und etwas später kamen auch noch Christian und Jaaeko mit dazu. Wir waren alle ziemlich überwältigt von der Aussicht.

Nachdem ich den Turm wieder heruntergeklettert war ging es weiter auf dem Bream Head Track. Es folgten einige An- und Abstiege über mehrere Bergkuppen mit Höhenunterschieden von bis zu 250 Metern. Sofern An- und Abstiege nicht über hölzerne Stufen erfolgten, ging es im Dickicht des subtropischen Waldes über vollends verwurzelte Pfade und von Flechten und Mossen überzogene Steine. Vom letzten Berg schließlich, der noch eine Höhe von 395 Metern aufwies, fiel der Track innerhalb von nur einem Kilometer extrem steil auf 66 Meter ab. Das Ganze erfolgte weitestgehend in unzähligen hölzernen Treppenstufen. Ich war echt froh, als ich die letzte Stufe von den hunderten Stufen hinter mich gebracht hatte. Die über 1.000 Höhenmeter im An- und Abstieg nebst den gelaufenen Kilometern waren heute eine ziemliche Belastung für Beine und Knie. Dafür weiß ich nun, wie es sich anfühlen muss, durchs Treppenhaus eines Wolkenkratzers abzusteigen…

Den Braem Head Track beendte ich überraschend schnell nach knapp 3 Stunden. Die letzten Kilometer hatte ich allerdings auch ordentlich Gas gegeben. Ich wollte unbedingt noch durch das Bergmassiv gelangen. Was daraufhin folgte waren nochmal fünf Kilometer Roadwalking entlang einer Vielzahl an Buchten auf einer schönen Küstenstraße.

Nach etwa 10,5 Stunden war ich dann am Fuße des Mount Manaia angelangt, dessen Felsturm an der Spitze von dem Ort Manaia aus gesehen übrigens ausschaut wie eine dieser Statuen von den Osterinseln, nur eben überdimensional groß – eine weithin sichtbare Landmarke.

Ich war ziemlich groggy als ich in Manaia ankam. Im dortigen Shop habe ich mir gleich erstmal einen Liter eines gekühlten Apple, Orange & Mango-Saftes geholt und die ersten dreiviertel Liter direkt weggetrunken. Danach machte ich mich auf Campsitesuche. Wenn ich nicht gerade mehrere Kilometer die Straße zurücklaufen wollte, war wild zelten hier nicht möglich. Also versuchte ich beim einzigen eingezeichneten Campinglatz, dem Manaia Baptist Camp unterzukommen. Problem: dieses war geschlossen. Zweites Problem: ich war immer noch völlig hinüber. Der Tag steckte mir echt in den Knochen. Doch wie gut, dass es Trailangels gibt 🙂

Nicht weit von dem geschlossenen Campingplatz wurde ich von Grant, einem Fischer aus Manaia im Ruhestand, dessen schottische, von den Engländern vertriebene Vorfahren diesen Ort einst gegründet hatten, angesprochen. Grant sah mir vermutlich an, dass ich ziemlich fertig war und lud mich zunächst auf ein Bier ein. Kaum hatte ich Platz auf seiner Hollywoodschaukel genommen, da wurde ich von ihm und seiner Familie jedoch nicht nur mit Bier versorgt, sondern auch mit Sandwiches, einem Schlafplatz im Gästezimmer, einer Dusche und und und. Selbst meine Wäsche bekam ich gewaschen und zum späten Abendessen wurde extra für mich groß aufgetischt mit den am Morgen gefangenen Fischen, Schnitzeln, Lammkoteletts, Salat, Kartoffeln, Reis und einigen weiteren Bieren. Ich habe den ganzen Abend, die Unterhaltungen mit Grant und seiner Familie, das Spielen mit seiner Hündin Roxy und die tollen Aussichten von seinem Haus auf den Mount Manaia zur einen Seite und der McGregors Bay zur anderen Seite wirklich genossen. So viel Gastfreundschaft für einen Wildfremden. Wahnsinn. Wahre Trailangels.

Morgen muss ich dann erstmal mit dem Boot über die Meerenge an dieser Stelle nach Marsden Point übersetzen. Ich bin gespannt wie das klappt.

Vor den weiteren Fotos des Tages nun auch noch kurz etwas zum Film am Vorabend (ich habe ja auf meinem Tablet den Film „Lone Survivor“ gesehen): der war super. Spannend, actionreich und auch durchaus bewegend. Für mich am gestrigen Abend auf jeden Fall das richtige Maß an Trailentertainment.

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