3
Apr
2018

Tag 130 Lower Princhester Hut bis Aparima Hut (17 Kilometer)

Ein sumpfiges Tal voller schulterhohem Tussockgras auf Neuseelands Takitimu Track. Ich bahnte mir meinen Weg durch das hohe Gras und durch Unmengen an Schlamm. Zwei Sekunden später dröhnte ein lauter Schrei von mir über die Ebene. „Fu**“ schrie ich. Ich war wieder mal in eines dieser Sumpflöcher getreten, die sich zwischen all dem hohen Gras mitten auf dem Track befanden. Diesmal war ich richtig tief hineingerutscht. Bis über die Knie stand ich darin. Mühsam zog ich mich mit meiner schlammbedeckten Hose, meinen ebenso mit Schlamm und Sumpfwasser bedeckten Beinen und Schuhen wieder aus dem Loch. Dann fing ich an zu schmunzeln. Geil, was für ein Spaß… und was für eine Challenge heute. Der Track war deutlich heftiger als gedacht und wir brauchten für die gerade mal 17 Kilometer bis zur Aparima Hut geschlagene acht Stunden. Es ging durch schwieriges Gelände im Urwald und durch noch schwierigeres Gelände voller Tussock…

Der spannende Tag heute fing direkt mal um zwei Uhr in der Nacht an. Ich wachte auf und Anna wühlte und kramte im Licht ihrer Stirnlampe geschäftig an ihren Sachen herum. Erst dachte ich: „So ein Mist, es kann doch nicht bereits Morgen sein.“ Aber irgendwie fand ich mich damit ab, machte mich bereit aufzustehen und wünschte Anna einen guten Morgen. Dann erfuhr ich von ihr jedoch, dass es noch mitten in der Nacht war. Eine Maus war an ihrem Rucksack und direkt neben ihrem Gesicht an diesem hochgekrabbelt. Sie hatte sogar vor Ekel aufgeschrien. Also Anna, nicht die Maus 😉 Ich hab derweil trotz Schrei natürlich seelenruhig weitergeschlafen und war dann erst wachgeworden als Anna unruhig an ihren Sachen kramte.

Ich stand auf. Derweil realisierte Anna, dass die Maus zwischen ihre Sachen und auf ihren Rucksack geköttelt hatte. Und als ich meinen Rucksack näher betrachtete, wurde mir klar, dass ich nicht ganz verschont geblieben war. Die Mais hatte echt auf das Deckelfach meines Rucksacks geschifft. Das ist bei so ner Maus zwar nicht viel, aber es stinkt dafür umso mehr… Na gut, mit nassem Toilettenpapier und etwas Desinfektionsmittel für die Hände, welches Anna mir gab, wischte ich das notdürftig ab.

In der Hütte hatte es gestern einfach keine Möglichkeit gegeben, unser Essen und unsere Rucksäcke mäusesicher aufzuhängen. Nun suchten wir nochmal die Hütte bzw. den Bereich um die Hütte ab. Angeknabberte, vollgeschiffte und vollgekotete Rucksäcke und Essensvorräte wollten wir zumindest für den Rest der Nacht nicht weiter in Kauf nehmen. Draußen im Holzschuppen wurde ich dann noch fündig. Hier hatte es unter dem Gebälk zwei Nägel, an denen wir wenigstens unser Essen aufhängen konnten.

Es dauerte sicher ne halbe Stunde bis ich schließlich dann wieder eingeschlafen war und später zur eigentlich geplanten Zeit um 6 Uhr aufstand.

Während Anna und ich frühstückten las ich eine total liebe Nachricht einer Arbeitskollegin, die sie mir nun zum baldigen Ende meiner Reise geschickt hat. Es war auch eine Nachricht, über die ich wirklich sehr schmunzeln musste. Sie hat beim Lesen meines Blogs ganz ihr Essen auf dem Herd vergessen und dabei ist ihr Sauerkraut etwas angebrannt. Ich werde natürlich keinen Namen nennen 😉

Gegen 7:30 Uhr waren Anna und ich dann auf dem Track. Wir waren echt gespannt was uns erwarten würde. Wir wollten an sich 30 Kilometer bis zur Lower Wairaki Hut abreißen – laut den Trailnotes eine Sache von 11 bis 12 Stunden -, aber das Hinweisschild vor der Lower Princhester Hut, von der wir starteten gab 16 Stunden bzw. zwei volle Tage für diese Strecke an. Zudem hatte es die halbe Nacht teils doll geregnet. Das würde den Track nicht einfacher machen, vermuteten wir.

Zunächst machten wir uns an einen Anstieg durch dichten Wald auf eine Sattelhöhe hinauf. 350 Höhenmeter in zweieinhalb Kilometern. Den nackten Zahlen nach hatten wir schon deutlich schwere Anstiege bewältigt. Aber der Track war nicht nur erwartet schmal, er war auch überwuchert und elendig matschig. Abermals erschwerten uns zudem umgestürzte Bäume den Weg, so dass uns schnell warm wurde. Witzelten wir anfangs noch über manchen Tennisspieler, der in einem langen Match nach und nach jeden Ball mit einem lauten Stöhnen oder Keuchen schlägt und fragten uns wie es wohl klingen würde, wenn jeder Hiker sich hier durch den Wald so bewegen würde, stöhnten oder keuchten wir selbst je weiter wir aufstiegen so manches Mal beim Hochwuchten in steilen Passagen des Wegs – wenn auch bedeutend leiser als die betreffenden Tennisspieler 😉

Die Sattelhöhe erreichten wir erst nach knapp anderthalb Stunden. Es ging also wirklich langsam vorwärts hier. Wir erwarteten aber, dass wir später in den Ebenen mit Tussockgras deutlich schneller vorankommen würden.

Der Sattel selbst bot wenig Aussicht, da wir uns weiter im dichten Wald befanden. Dafür war dieser aber wirklich nochmal traumhaft schön zumal die Sonne, ein wenig verdeckt vom Morgendunst, ein tolles Licht in den Wald mit seinen leuchtenden Moosen auf umgestürzten Bäumen, hohen Farnen, Stämme und Blätterdach zauberte. Das war mal ein ganz anderer Sattel als ich ihn zuletzt in dem vielen alpinen Terrain erlebt hatte.

Übrigens hatte Anna am Morgen noch gescherzt, dass der Wald heute bestimmt wie in den harten Northland Forests, insbesondere im Raetea Forest wird. War das im Aufstieg streckenweise so gewesen, war das im Abstieg beinahe permanent so. Der Track wurde matschiger und noch schwieriger. Wir waren noch langsamer unterwegs als zuvor. Damit ihr mal einen Eindruck bekommt, hier mal ein paar Fotos von uns in Action 😉

Irgendwann stießen wir in das Tussockgebiet. Unsere Erwartung und Hoffnung, dass wir nun deutlich schneller vorankommen würden, erfüllte sich nicht. Überall Sumpf zwischen den schulterhoch gewachsenen Gräsern. Das schlimme. Wir sahen weder Track noch Sumpfloch. Einige Male rutschten wir regelrecht mit den Füßen voran in ein unter dem hohen Gras, zwischen dem wir uns unseren Weg bahnten, verstecktes Sumpfloch oder in eine ebenso versteckte Schlammgrube hinein. Manchmal nur bis über den Knöchel. Dann völlig unerwartet auch mal bis zu den Knien, auf das ein lautes „Fu**“ von mir oder ein ihren Ekel ausdrückender Ausruf von Anna folgte. Das war manchmal echt witzig. Rutschte ich in eines der tieferen Sumpflöcher hinein, verschwand ich urplötzlich vor Anna zwischen dem hohen Tussockgras laufend aus ihrem Blickfeld und sie sah nur noch das gräserne Tussockmeer wogen, mich jedoch nicht mehr. Selbiges aus anderer Perspektive. Hörte ich Anna’s Schrei, war sie bei meinem Blick zurück zunächst nicht mehr aufzufinden, obwohl sie vielleicht zehn Meter hinter mir lief. Das klingt vielleicht total grässlich, aber irgendwie machte das ganze echt Spaß. Mein Gedanke war, dass wenn ich einmal in der Brühe drin war, war es eh egal, ob ich nochmal reinrutschte 🙂

Volle drei Stunden nach dem Start hatten wir übrigens noch keine sechs Kilometer geschafft und legten eine Pause ein. Hier verabschiedeten wir uns auch von unserem Plan, die 30 Kilometer bis zur Lower Wairaki Hut zu laufen. Keine Chance, nicht in diesen Bedingungen. Es würde vermutlich bereits ein kompletter Tag werden, wenn wir nur bis zur Aparima Hut kommen.

Wechselnd liefen wir auf Tussock oder durch Wald unserem Ziel entgegen. Und im Wald – das hätten wir niemals gedacht – kamen wir doch deutlich schneller voran als im Tussock, wenn auch insgesamt immer noch langsam.

Diese weiten Felder von gelbrötlichen Tussockgras waren übrigens wunderschön anzuschauen. Zuweilen zog einiges an Wind auf. Die Halme der Tussockbüschel bogen sich in den Böen für kurze Zeit zur Seite und ließen das Gras an dieser Stelle statt rötlichbraun regelrecht silbern erscheinen. Das vermittelte wirklich den Eindruck von Wogen auf einem gräsernen Meer.

Nach fünf Stunden hatten wir nur zehn Kilometer geschafft, aber weiterhin sehr gute Laune. Der Track gab einfach nicht mehr her und wir legten am Rande zur nächsten Sektion im Wald eine Lunchpause ein ehe wir uns weiter auf dem Track durch matschigen Wald und sumpfigen Tussock schlugen.

Erst die letzten zwei Kilometer besserte sich der Track. Wir waren nun aber doch langsam entkräftet.

Wir erreichten die Aparima Hut schließlich acht Stunden nach unserem Start am Morgen am Nachmittag um 15:30 Uhr. Und wir waren echt froh die Hütte erreicht zu haben. Das war kräftezehrend. Und für morgen würde noch so eine Sektion anstehen, so wir dem Schild zu Beginn des Takitimu Track Glauben schenken würden. Und das taten wir nun 😉

Wir entzündeten früh ein Feuer im Kamin der Hütte und versuchten etwas zu relaxen. Optionen unsere Rucksäcke und Essensbags für die Nacht mäusesicher aufzuhängen, loteten wir auch aus. An der Decke und der Tür der Hütte waren einige Haken befestigt. Die könnten wir nutzen. Und wir brauchten sie auch später am Abend. Denn während wir am Kamin einige Marshmallows, die Anna mitgebracht hatte, grillten, sahen wir bereits eine ganze Mäusefamilie in der Hütte hin- und herflitzen. Alles andere als scheu übrigens. Die erste Maus hatte ich auch direkt beim Betreten der Hütte gesehen wie sie von einer der Matratzen floh.

Für morgen planen wir nun erstmal nur die 13 Kilometer bis zur nächsten Hütte ein. Das Gelände soll ebenso schwierig werden wie heute, wenn nicht gar noch schwerer. Denn es soll ebenfalls acht volle Stunden für diese Strecke brauchen. Früh aufbrechen werden wir morgen früh nicht. Wir gönnen uns mindestens eine Stunde mehr Schlaf als in der letzten, unterbrochenen Nacht. Ich hoffe der zusätzliche Schlaf wird Anna gut tun. Sie hat das Gefühl, dass bei ihr vielleicht eine Erkältung im Anmarsch ist.

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